Schulsozialarbeit bedeutet, immer für Schülerinnen und Schüler ansprechbar zu sein und so schnell wie möglich zu helfen.

„Wir sind immer da“

Malte Barthmann und seine Kollegin Stephanie Voges arbeiten als Schulsozialarbeiter und Schulsozialarbeiterin an der Werner-von-Siemens-Schule in Maintal-Dörnigheim in der Nähe von Frankfurt am Main. „Unsere Tür steht jeder Schülerin und jedem Schüler jederzeit offen. Sie haben hier einen geschützten Raum, in dem sie mit uns offen über ihre Sorgen und Probleme sprechen können. Das wird rege genutzt – übrigens auch vom Lehrkräftekollegium.“

AUTORIN Gabriele Albert, Redakteurin Universum Verlag | FOTOS Dominik Buschardt | DATUM 06.11.2025

Dieser Schultag war „eigentlich“ gut und übersichtlich geplant: Ein Elterngespräch stand im Kalender ebenso zwei Stunden „Soziales Lernen“ in einer fünften Klasse. Außerdem wollten der Schulsozialarbeiter Malte Barthmann und seine Kollegin Stephanie Voges mit dem Klassenlehrer einer achten Klasse ein Medienkompetenzprojekt auf den Weg bringen. Doch wieder einmal kam alles anders: „Unsere Zeitpläne für eine Woche, geschweige denn für den aktuellen Tag, lassen sich selten aufrechterhalten“, erklärt Malte Barthmann in dem Büro der Schulsozialarbeit in der Werner-von-Siemens-Schule im hessischen Maintal. Er ist in der Regel schon morgens kurz vor 7 Uhr hier, um in Ruhe noch ein paar Dinge erledigen zu können, die am Tag vorher liegen geblieben sind. Das wissen aber auch die Lehrkräfte der Schule und stehen dann oft ebenso früh in seiner Tür. Sie haben vielleicht am Tag vorher in einer Nachmittags-AG von einem Familienproblem oder einem Konflikt in einer Klasse erfahren und wollen darüber mit dem Schulsozialarbeiter sprechen. Je nach Schwere und Dringlichkeit des Problems wird unverzüglich gehandelt, und dann ist der ursprüngliche Tagesplan Makulatur. „Wenn wir zum Beispiel morgens darüber informiert werden, dass eine Schülerin unentschuldigt fehlt, die Mutter weggezogen ist und auch die Freundinnen nicht wissen, wo sie ist, laufen oder fahren wir da hin“, erklärt Kollegin Stephanie Voges. „Auch akute Gewaltandrohungen in der Familie oder Suizidankündigungen erfordern natürlich sofortiges Handeln“, fährt sie fort. „Unter Umständen mit Unterstützung des Jugendamts oder der Schulpsychologie.“ Aber auch bei weniger ernsten Anlässen wie einem klassischen Pausenkonflikt zwischen zwei Schülern werfen die beiden Schulsozialarbeiter ursprüngliche Planungen über den Haufen und gehen direkt ins Gespräch. „Wir können ja schlecht sagen: Moment mal, eigentlich wollten wir heute ein paar Aktennotizen machen, kommt doch morgen wieder“, sagt Pädagoge Barthmann lächelnd. „Wir sind immer ansprechbar und helfen so schnell wie möglich.“

  • Einer der beiden ist immer vor Ort, oft beide zusammen. Die Tür ihres Büros steht für alle offen: Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern.

Ganz nah dran

Für die beiden Erziehungswissenschaftler macht gerade diese Vielfalt und die Notwendigkeit, sich auf Neues einstellen und entsprechend schnell reagieren zu müssen, einen großen Reiz ihres Berufes aus: „Kein Tag ist wie der andere, und wir sind ganz nah dran an der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen. Wir wissen genau, was die jungen Menschen bewegt, wie und wo sie ihre Freizeit verbringen, welche Computerspiele oder sozialen Medien gerade angesagt sind. Das ist ungeheuer spannend, aber auch anstrengend und manchmal belastend“, erklärt Barthmann. Anstrengend vor allem deswegen, weil sie beide oft das Gefühl hätten, den aktuellen Entwicklungen hinterherzuhinken. „Bis wir uns mit einem neuen Computerspiel oder einer neuen Online-Challenge vertraut gemacht haben, gibt es längst schon wieder andere angesagte Sachen“, schildert Stephanie Voges ihr Dilemma. Die digitale Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler sei eben schnelllebig.

Malte Barthmann

 

Respektvoller Umgang miteinander

An Aufgaben für die Schulsozialarbeit mangelt es an der Werner-von-Siemens-Schule nicht. Sie beherbergt eine Grund-, eine Haupt- und eine Realschule. Knapp 800 Schülerinnen und Schüler mit insgesamt circa 30 Nationalitäten kommen hier täglich zusammen, viele davon nehmen das freiwillige Ganztagsangebot wahr. „Unsere Schule ist eine Startchancen-Schule und wird vom gleichnamigen Bildungsprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unterstützt,“ sagt Malte Barthmann. Ja, die Schule läge in einem Gebiet mit sozialem Förderbedarf und ja, viele Schülerinnen und Schüler hätten Migrationshintergrund. „Bei Schulen in sozialen Brennpunkten denken viele Menschen gleich an ausgebrannte Lehrkräfte und Gewalt auf dem Schulhof. Davon sind wir hier aber sehr weit entfernt.“ Auch das verbreitete Vorurteil, dass man sich als Frau gerade bei männlichen Schülern mit Migrationshintergrund nur schwer Respekt verschaffen könne, kann zumindest Stephanie Voges nicht bestätigen: „Im Gegenteil, ich werde von allen Jungen, egal welcher Nationalität und kulturell-religiöser Herkunft, freundlich und mit Respekt behandelt und fühle mich an dieser Schule sehr wohl und wertgeschätzt.“ Manchmal kämen gerade die Zehntklässler einfach so auf ein Schwätzchen in ihr Büro und berichteten von der letzten Prüfung oder den Erfahrungen im Betriebspraktikum.

Stephanie Voges

 

Vertrauensverhältnis aufbauen

Die Schülerinnen und Schüler lernen die beiden Schulsozialarbeiter in der ersten Woche nach den Sommerferien kennen, wenn die neuen fünften Klassen an die Schule kommen. Dann stellt sich das Team Barthmann/Voges persönlich vor, berichtet über seine Aufgaben und lädt die Kinder ein, jederzeit bei Problemen vorbeizukommen. Außerdem gibt es für die fünften Klassen in der ersten Woche eine Schulrallye, „da müssen sie dann unter anderem bei uns im Büro reinschauen und uns fragen, was wir so machen“, sagt Malte Barthmann. Auch in „Soziales Lernen“, das in allen fünften Klassen im ersten Schuljahr im Stundenplan steht, begegnen die Schülerinnen und Schüler den beiden Pädagogen. „Hier sehen wir die Kinder regelmäßig und können über unsere pädagogischen Angebote gute Beziehungen zu ihnen aufbauen“, so Stephanie Voges. Im Gegensatz zum normalen Fachunterricht gehe es dabei nicht um Noten und man könne die gemeinsame Zeit lockerer gestalten. „Dadurch fällt es vielen Kindern und Jugendlichen dann leichter, später mal mit ihren Sorgen in unser Büro zu kommen.“

Von kleineren Streitereien bis zu häuslicher Gewalt

Und wie oft wird dort angeklopft? „Ganz unterschiedlich, es gibt Tage, da geben sich Kinder und Lehrkräfte die Klinke in die Hand, an anderen bleibt es erstaunlich ruhig“, erklärt Malte Barthmann schmunzelnd. Die Themen der Schülerinnen und Schüler seien sehr vielfältig: „Das geht über kleinere Streitereien untereinander in der Klasse, in der Pause, Beleidigungen über WhatsApp bis hin zur Veröffentlichung bearbeiteter Fotos in den sozialen Medien“, so Barthmann, und seine Kollegin ergänzt: „Wir und alle unsere Kolleginnen und Kollegen der Schulsozialarbeit hier im Kreis Main-Kinzig sind froh über jedes Kind, das darüber hinaus den Mut findet, mit uns über seine Sorgen wegen häuslicher Missachtung, Verwahrlosung oder Gewalterfahrungen der unterschiedlichsten Art zu sprechen.“ Nicht immer könne Sozialarbeit in Schulen die angesprochenen Probleme allein lösen, aber sie böte den Kindern eine verlässliche und verschwiegene Anlaufstelle in einem geschützten Raum. „Wir hören zu, nehmen sie ernst und klären über mögliche weitere Schritte auf, zum Beispiel die Einbindung des Jugendamts.“

Unterliegen der Schweigepflicht

„Die Schülerinnen und Schüler kostet es große Überwindung, sich mit ihren teilweise sehr ernsten Problemen an uns zu wenden. Das dauert oft Monate oder sogar Jahre. Sie wissen, dass wir der Schweigepflicht unterliegen und niemand von unseren Gesprächen etwas erfährt – außer sie oder die Eltern wollen das und entbinden uns von der Schweigepflicht“, so Malte Barthmann. Das komme gar nicht selten vor, zum Beispiel, wenn die Eltern wünschten, dass die Schulsozialarbeiter mit dem behandelnden Psychotherapeuten sprechen oder Kontakt mit der Familienhilfe aufnehmen sollen. „Wir sind oft die Schnittstelle zwischen Eltern, Kindern, Lehrkräften, Schulleitung und externen Stellen wie Familienhilfe, Jugendamt oder auch mal der Polizei.“

Und was wünscht sich das Team Barthmann/Voges für ihre weitere Arbeit an der Werner-Siemens-Schule? „Mehr Zeit, mehr Personal. Wir beide besetzen insgesamt eine 90-Prozent-Stelle. Das ist einfach zu wenig. Unsere Arbeit ist so vielfältig und teilweise so handlungsintensiv, da könnten locker zwei Vollzeitstellen besetzt werden“, ist sich Malte Barthmann sicher, und Stephanie Voges ergänzt: „Wir müssen oft reagieren, kommen also erst zum Einsatz, wenn etwas passiert ist. Dabei hätten wir gerne mehr Zeit für präventive Angebote. Den Kindern noch mehr frühzeitige Hilfe zur Selbsthilfe vermitteln zu können, das wäre wundervoll.“

Die Schulleiterin Sabine Scholz-Buchanan betont, wie wichtig die Arbeit der Schulsozialarbeit an ihrer Schule ist und warum es wünschenswert wäre, die Stellen aufzustocken.

MEHR INFOS:
Im Auftrag des Main-Kinzig-Kreises setzt das Zentrum für Kinder-, Jugend- und Familienhilfe Main-Kinzig GmbH (ZKJF) die sozialpädagogische Arbeit an 22 weiterführenden Schulen und an vier Grundschulen um. In einem informativen und authentischen Video über die Schulsozialarbeit kommen Schülerinnen und Schüler sowie Schulsozialarbeiter Malte Barthmann zu Wort.

Das sagt Schulleiterin Sabine Scholz-Buchanan:

„Es ist überaus wichtig und hilfreich, Frau Voges und Herr Barthmann an meiner Schule zu haben. Besonders bei der Intensivbegleitung von Konflikten sind die beiden sehr wertvoll. Sie gehen aber auch proaktiv in die Klassen und führen dort teambildende Maßnahmen durch. Ab der 8. Klasse bieten sie berufsorientierende Maßnahmen und Bewerbungstrainings an. Das sind nur ein paar Beispiele dafür, wie breit die beiden thematisch aufgestellt sind. Da es immer mehr Kinder mit Unterstützungsbedarf gibt, wäre eine personelle Aufstockung um mindestens zwei weitere Stellen sehr wünschenswert.“

Das sagt Kollegin Verena Röder, Mathematiklehrerin an der Werner-von-Siemens-Schule

„Frau Voges und Herr Barthmann sind ein super Team und wir Lehrer sind alle sehr froh, dass die beiden unsere Arbeit so kompetent unterstützen und ergänzen. Wir arbeiten Hand in Hand und sie helfen uns beispielsweise bei der Planung und Durchführung von Projekttagen zur Stärkung der Klassengemeinschaft oder bei der Klärung von Konflikten innerhalb der Klasse. Manche Kinder geraten immer wieder in Konflikte. Die Ursachen dafür zu finden und im besten Fall aufzuarbeiten, dabei unterstützt uns die Schulsozialarbeit. Kinder brauchen unterschiedliche und verlässliche Ansprechpartner und für viele Jungs ist auch wichtig, sich an Herrn Barthmann, also einen Mann, wenden zu können.“