Schulen sollten für Missbrauch im Netz sensibilisieren und Schutzkonzepte entwickeln.

Schutz vor Missbrauch im Netz

Jedes vierte Kind ist von Cybergrooming betroffen, dem gezielten Ansprechen von Minderjährigen durch Erwachsene, die sich als Gleichaltrige ausgeben, um sexuelle Übergriffe vorzubereiten. Bei der Aufklärung von Kindern und Eltern spielen Schulen eine wichtige Rolle.

  • Schutzkonzept sorgt für klare Handlungswege bei Cybergrooming-Fällen
  • Schulen können aufklären und für Gefahren sensibilisieren
  • Eltern müssen informiert und eingebunden werden
AUTORIN Kathrin Hedtke, freie Journalistin | FOTOS Jürgen Fälchle – stock.adobe.com, privat | ILLUSTRATION Pop, Ainul – stock.adobe.com, mann + maus | DATUM 06.11.2025

Leicht kann das Internet für Kinder und Jugendliche zur Falle werden: In Chats von Videospielen wie „Fortnite“ oder „Minecraft“ geben sich Erwachsene als Gleichaltrige aus, bauen Vertrauen auf und manipulieren ihre Opfer. Sie drängen Minderjährige etwa dazu, ihnen Nacktbilder zu schicken oder vor der Kamera sexuelle Handlungen vorzunehmen – oder sich mit ihnen persönlich zu treffen. „Ihre Methode ist von Anfang an auf sexuellen Missbrauch ausgelegt“, betont Rebecca Michl-Krauß, Referentin für Medienkompetenz bei der EU-Initiative klicksafe. Die Rede ist von Cybergrooming.

Eine bundesweite Studie der Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen zeigt, dass fast jedes vierte Kind zwischen acht und 17 Jahren bereits von erwachsenen Personen mit sexuellen Absichten angechattet wurde. Laut Studie wurden sieben Prozent der Kinder gedrängt, sich vor der Kamera auszuziehen. Mit anderen Worten: im Schnitt mehr als zwei Lernende pro Klasse. Jedes zehnte Kind zwischen zehn und zwölf Jahren wurde im Internet dazu aufgefordert, sich außerhalb der virtuellen Räume im echten Leben zu treffen. „Zwischen diesen Zahlen und den gemeldeten Fällen in der Kriminalstatistik liegen Welten“, betont die Medienexpertin. „Das zeigt, dass die meisten Kinder sich nicht trauen, Hilfe zu holen.“ Schulen komme eine wichtige Aufgabe zu: Das A und O sei, dass Lehrkräfte die Medienkompetenz der Kinder und Jugendlichen stärken, über Risiken im Netz aufklären – und zwar von klein auf – und im Ernstfall wissen, was zu tun ist.

So früh wie möglich aufklären

Am besten schon ab der Grundschule. „Bevor die Kinder ins Internet gehen“, erklärt Rebecca Michl-Krauß. Schließlich würde auch niemand auf die Idee kommen, die Kinder allein in die Schule laufen zu lassen, ohne den Weg vorher mit ihnen zu üben und sie auf Gefahren aufmerksam zu machen. Die Medienpädagogin gibt zu bedenken, dass immer mehr Kinder in Grundschulen bereits ein internetfähiges Smartphone besäßen. Sie müssten lernen, welche Regeln es zu beachten gelte. Viele Initiativen – wie klicksafe – stellen Informationen und Materialien bereit, wie Schulen altersgerecht mit dem Thema arbeiten können. Tipps für die jüngere Zielgruppe bieten etwa „Internet-ABC“ und „Trau dich!“, ein Informationsportal zum Thema sexueller Missbrauch. Sinnvoll sei auch, externe Fachleute an die Schulen zu holen, zum Beispiel von Vereinen wie „Innocence in Danger“. „Wichtig ist, dass Schulen ein gutes Netzwerk aufbauen.“

Sexting ist nicht gleich Cybergrooming

Vorsicht ist auch beim sogenannten Sexting angesagt. Dabei schicken Teenager sich gegenseitig aufreizende Fotos in Unterwäsche, Nacktbilder oder intime Videos – nicht zu verwechseln mit Cybergrooming. „Wenn beide damit einverstanden und verantwortungsbewusst sind, ist alles erst einmal in Ordnung“, findet Rebecca Michl-Krauß. Doch oft könnten Jugendliche die Risiken nicht abschätzen. Die Gefahr sei groß, dass die Aufnahmen an Freunde geschickt würden, im Klassenchat landeten – oder im Internet verbreitet würden. „Die psychischen Folgen für die Betroffenen können dramatisch sein.“ Viele trauten sich aus Scham kaum noch in die Schule, seien völlig verzweifelt.

Aufklärung beim Elternabend

Verena Müller vom Bündnis gegen Cybermobbing betont, dass es sich um eine Straftat handelt, solche Aufnahmen im Internet zu verbreiten. Das gelte auch für sogenannte „Dickpicks“, also Penisbilder. Die Medienexpertin dringt darauf, dass Schulen diese Themen unbedingt in ihr Schutzkonzept aufnehmen müssen. Es muss klar geregelt sein: In welcher Jahrgangsstufe wird welcher Aspekt behandelt? In welchen Fächern? In welcher Form? „Die Schulen müssen einen festen Raum dafür schaffen“, so Verena Müller.

Wichtig ist auch, dass Schulen regelmäßig Elternabende dazu anbieten. Die Referentin erlebt häufig, dass Eltern ungern mit ihren Kindern über solche Themen reden. Zumal viele sich der Gefahren überhaupt nicht bewusst sind. „Es ist immer wieder erschreckend, wie wenig Erwachsene darüber wissen“, sagt die Medienexpertin. Eltern müssten aufgeklärt werden, damit sie bei Warnsignalen direkt hellhörig werden können. Ihr Tipp: Sich dafür interessieren, was die Kinder im Netz machen – auch wenn man selbst nichts mit „Snapchat“ oder „Fortnite“ anfangen könne. So fiele es Kindern leichter, sich im Ernstfall den Eltern anzuvertrauen.

Vortäuschen falscher Identitäten

Die Referentin berichtet von einer Sechstklässlerin, die von einem Pädophilen erpresst wurde. Der Täter gab sich im Chat als älteres Mädchen aus, täuschte vor, verliebt zu sein, und schickte angeblich intime Fotos von sich. Irgendwann folgte die Aufforderung: Jetzt bist du dran! „In so einem Moment kann man nur hoffen, dass Kinder und Jugendliche so weit aufgeklärt sind, dass sie sich jemandem anvertrauen“, sagt Verena Müller. Als das Mädchen eigene Fotos schickte, drohte der Täter, die Bilder zu veröffentlichen – und zwang die Schülerin so dazu, vor laufender Kamera zu masturbieren. Schulen müssten vermitteln, wie wichtig ein gewisses Misstrauen im Netz sei: „Nicht jeder ist wirklich, wofür er sich ausgibt.“ Mit KI sei viel machbar, erklärt Verena Müller. So sei es technisch problemlos möglich, Videos und Fotos mit anderen Identitäten zu versehen – und sogar täuschend echte Sprachnachrichten zu verschicken.

Die Kinder trifft keine Schuld

Rebecca Michl-Krauß von klicksafe berichtet, dass viele Menschen sexuelle Gewalt im Internet unterschätzen. Insbesondere weibliche Jugendliche empfänden es fast schon als „normal“, online sexuell belästigt zu werden. Viele seien der Meinung, dass der Bildschirm wie eine Schutzwand wirke. „Das ist falsch.“ Studien zeigten, dass digitale Formen von Missbrauch die gleichen Auswirkungen haben: Betroffene können längerfristig unter schweren Depressionen leiden, tun sich schwer damit, Beziehungen zu führen und Menschen zu vertrauen. Sehr belastend sei für sie auch zu wissen, dass Fotos oder Videos im Netz kaum einzufangen seien.

Was tun in so einem Fall? „Wichtig ist schnelle Hilfe und Unterstützung“, sagt Rebecca Michl-Krauß. Doch aus Scham holten die Opfer oft keine Hilfe. Sie litten darunter, dass sie – in Anführungszeichen – „freiwillig“ mitgemacht hätten und selbst schuld seien. „Erwachsene sollten unbedingt den Impuls unterdrücken, ihnen Vorwürfe zu machen“, sagt Rebecca Michl-Krauß. Die Täter arbeiteten mit manipulativen Methoden, nutzten normale Bedürfnisse von jungen Menschen aus, zum Beispiel nach Anerkennung, Aufmerksamkeit oder auch erste sexuelle Neugier. Die Botschaft lautet: „Die Kinder trifft keine Schuld!“

Wie die Lehrkräfte im Ernstfall vorgehen, Schritt für Schritt, gehört unbedingt ins Schutzkonzept gegen sexuelle Gewalt. Verena Müller vom Bündnis gegen Cybermobbing empfiehlt, dass sich an jeder Schule zwei, drei Personen regelmäßig weiterbilden. „Wichtig ist, dass sie gut gewappnet sind.“ Und wissen: Wer ist einzubeziehen? Wann ist die Polizei einzuschalten? In jedem Fall gelte es, Schulsozialarbeit und Schulleitung zu informieren, sagt die Medienexpertin. Und die Eltern. Auch könne es sinnvoll sein, externe Fachleute hinzuzuholen. „Das hängt vom Fall ab – und davon, was sich die Lehrkräfte zutrauen.“

Beratung und Anlaufstellen für Lehrkräfte

Lehrkräfte können sich jederzeit kostenlos und anonym beraten lassen. Zum Beispiel beim Hilfe-Telefon sexueller Missbrauch, bei „Schule gegen sexualisierte Gewalt“ und „Kein Raum für Missbrauch“. Vor allem kommt es darauf an, dem Kind das Gefühl zu vermitteln: Du hast nichts falsch gemacht! Außerdem gilt: Ruhe bewahren. Und gemeinsam mit dem Kind die weiteren Schritte besprechen. Schulen sollten Kinder und Jugendliche zudem auf kostenlose Hilfe- und Beratungsstellen hinweisen, wenn sie sich nicht trauen, mit Eltern oder Lehrkräften zu sprechen.

Wichtig ist es Beweise zu sichern. Allerdings sollten sich Lehrkräfte keinesfalls Nacktfotos von Minderjährigen aufs Handy schicken lassen. Sinnvoll kann auch sein, in Absprache mit dem Kind, zunächst allein mit den Eltern zu sprechen. Die geraten nämlich leicht in Panik, wenn sie erfahren, was passiert ist. Im nächsten Schritt sollte den Eltern empfohlen werden, sich professionelle Unterstützung zu holen, etwa bei der Nummer gegen Kummer und Anzeige zu erstatten. Vor allem, um weiteren Missbrauch zu verhindern.

Beratungs- und Hilfsangebote gegen sexuelle Gewalt:

Hilfestellen für Betroffene und Angehörige

  • Nummer gegen Kummer e.V. bietet eine anonyme und kostenfreie telefonische Beratung für Kinder, Jugendliche und Eltern an. Kinder und Jugendliche können sich außerdem rund um die Uhr an die Online-Beratung der „Nummer gegen Kummer“ wenden.
    Kinder- und Jugendtelefon Tel.:
    116 111, Mo. bis Sa. von 14–20 Uhr
    Elterntelefon Tel.:
    0800 11 10 55 0, Mo. bis Fr. von 9-17 Uhr, Di. und Do. bis 19 Uhr.
  • Das „Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch“ ist die bundesweite, kostenfreie und anonyme Anlaufstelle für Betroffene von sexueller Gewalt, für Angehörige sowie Personen aus dem sozialen Umfeld von Kindern, für Fachkräfte und für alle Interessierten.
    Telefon:
    0800 22 55 530 (kostenfrei und anonym); Mo., Mi., Fr.: 9-14 Uhr; Di, Do: 15-20 Uhr
    Onlineberatung: schreib-ollie.de
  • Das Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch ist ein Angebot der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM). Das Portal bietet viele Informationen zum Thema und unterstützt dabei, Hilfe und Beratungsangebote vor Ort zu finden.
  • JUUUPORT ist eine bundesweite Beratungsplattform, auf der Jugendliche und junge Erwachsene ratsuchenden Jugendlichen helfen, wenn sie Probleme im Netz haben. Ob Cybergrooming, Cybermobbing, Abzocke oder Datensicherheit – zu allen Online-Themen können Jugendliche hier Fragen stellen.

 

Meldestellen

Es ist wichtig, Fälle von sexualisierter Gewalt im digitalen Raum zu melden, damit Täterinnen und Täter strafrechtlich verfolgt, gestoppt und potenzielle Opfer geschützt werden können. Zu diesem Zweck wurden zahlreiche Melde- und Beschwerdestellen eingerichtet:

  • Wer von Cybergrooming betroffen ist, kann dies auf fragzebra.de/cybergrooming melden. Die Meldung wird von der Medienanstalt NRW überprüft und an die Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen weitergeleitet. Für pädagogische Fachkräfte gibt es ein Handout zum Meldeformular.
  • Die Beschwerdestellen internet-beschwerdestelle.de und www.jugendschutz.net/verstoss-melden helfen außerdem, wenn sexualisierte Darstellungen von Betroffenen öffentlich verbreitet wurden.
  • Das Projekt dickstinction.com bietet die Möglichkeit schnell und unkompliziert zu melden, wenn man ungefragt ein „Dickpic“ (Aufnahmen von männlichen Genitalien) erhalten hat. Die Meldeplattform ist seit September 2022 Teil der bundesweiten Initiative www.haitaid.org.
  • Der Dienst „Take It Down“ (deutsch: Lösch das) möchte vor der ungewollten Verbreitung intimer Bilder schützen. Junge Menschen können vorsorglich intime Bilder oder Videos verschlüsselt an „Take It Down“ melden. Versucht jemand zukünftig diese Aufnahmen auf beispielsweise Instagram hochzuladen, so wird dies automatisch verhindert. Im klicksafe-Artikel erfahren Sie, wie der Dienst „Take it Down“ funktioniert und welche Online-Plattformen sich aktuell beteiligen.

 

Wichtige weitere Initiativen und Ansprechpartner:

Rebecca Michl-Krauß ist Referentin für Medienkompetenz bei der EU-Initiative klicksafe, dem nationalen Awareness Centre für Deutschland.

Verena Müller ist Referentin beim Bündnis gegen Cybermobbing, das sich für die Online-Sicherheit junger Menschen einsetzt.

MEHR INFOS UND KOSTENLOSE UNTERRICHTSMATERIALIEN

 

EVALUIERTE PRÄVENTIONSPROGRAMME

Die Datenbank „Grüne Liste Prävention“ bietet auf der Basis nachvollziehbarer Kriterien einen Überblick über empfehlenswerte Präventionsansätze in den Bereichen Familie, Schule, Kinder/Jugendliche und auch sexualisierte Gewalt.