„Fehler sind Lernchancen“
Aus Fehlern wird man klug, heißt es. Damit das in der Schule klappt, ist eine positive Fehlerkultur nötig. Wie sie gelingt, erläutert Jürgen Seifried, Professor für Wirtschaftspädagogik mit dem Schwerpunkt berufliches Lehren und Lernen an der Universität Mannheim.
- Eine positive Fehlerkultur in der Schule bringt Vorteile
- Lernende brauchen ein Gefühl von Sicherheit
- Lern- und Leistungssituation klar voneinander trennen
Herr Professor Seifried, warum ist eine angstfreie Fehlerkultur im Unterricht wichtig?
Fehler werden oft zunächst als unangenehm empfunden. Die Fehlerforschung zeigt jedoch, dass eine positive Fehlerkultur Vorteile bringt, sowohl was das Ergebnis – also Wissen und Können – als auch die Lernmotivation und Emotionen betrifft. Das ist durch zahlreiche Studien sehr gut belegt. Mit Blick auf Schule und Unterricht wurden insbesondere Fächer wie Mathematik und Sprachen intensiv erforscht. Man kann aber nicht davon ausgehen, dass Schülerinnen und Schüler „automatisch“ aus Fehlern lernen, sie brauchen Unterstützung von Lehrkräften, die Fehler konstruktiv aufgreifen und die Lernenden entsprechend begleiten.
Was erfordert es von den Lehrkräften, um ein gutes Fehlerklima zu erschaffen?
Fehlertoleranz. Sie sollten die Einstellung mitbringen und diese Haltung auch im Unterricht verdeutlichen, dass Fehler Lernchancen sind und zum Lernprozess dazugehören. Des Weiteren benötigen Lehrkräfte sehr gutes Fachwissen. Unsichere Lehrkräfte, die im Stoff nicht so tief drin sind, neigen eher dazu, Fehler gar nicht erst entstehen zu lassen, damit der Unterricht so abläuft, wie sie ihn geplant haben. In Lernphasen tauchen aber Fehler nahezu zwangsläufig auf, andernfalls waren die gestellten Aufgaben zu einfach. Ferner brauchen Lehrkräfte konkrete Handlungsstrategien: Wie gehe ich mit Fehlern von Lernenden produktiv um?
Und wie können diese Strategien aussehen?
Wichtig ist, dass man Fehler als solche benennt, angemessenes Feedback gibt und sich Zeit nimmt, den Fehler aufzuarbeiten. Um die Ursachen zu erkunden, fragt die Lehrkraft nach und lässt den Schüler oder die Schülerin den eigenen Gedankengang selbst erklären. Entscheidend ist, niemanden bloßzustellen oder zu beschämen. Man muss es auch unbedingt unterbinden, wenn andere in der Klasse abschätzig reagieren. Lernende brauchen das Gefühl, Fehler machen zu dürfen, ohne Angst vor negativen Reaktionen haben zu müssen.
Um Reflexionsprozesse zu starten, kann man auch unterschiedliche Lösungen gegenüberstellen, beispielsweise am Ende einer Gruppenarbeit, sodass die Schülerinnen und Schüler in der Diskussion Fehler selbst erkennen. Oder man lässt die Schülerinnen und Schüler selbst auf Fehlersuche gehen – etwa in Materialien, die Fehler enthalten und die dann gefunden werden müssen.
Was können Lehrkräfte außerdem konkret für ein gutes Fehlerklima tun?
Oft bleiben Fehler im Raum stehen, die Lernenden wissen nur, dass ihre Antwort falsch war, aber nicht, wieso. Sie brauchen eine Begründung, warum etwas richtig oder falsch ist. Qualitatives Feedback bietet Erklärungen und hilft dabei, den Fehler einzuordnen. Zu einem konstruktiven Fehlerklima gehört auch, den Lernenden genügend Zeit zum Denken und Formulieren zu geben. Unterrichtsanalysen zeigen, dass Lehrkräfte das häufig nicht tun. Anspruchsvolle Fragen oder auch Aufgaben, die mehrere Lösungen ermöglichen, sind hilfreich, ebenso eine regelmäßige Reflexion im Unterricht, was mithilfe aufgetretener Fehler gelernt wurde.
Um die Benotung kommen Lehrende und Lernende meist nicht herum. Wie kann angstfreies Lernen innerhalb der schulischen Notengebung gelingen?
Wichtig ist, die Lern- von der Leistungssituation klar zu trennen und das für die Lernenden auch deutlich zu machen: In der Lernphase sind Fehler erlaubt und für die Bewertung nicht relevant, erst später wird geprüft. Man kann die Leistungsüberprüfung angstfrei gestalten, indem man transparent macht, was die Schülerinnen und Schüler erwartet, und sie gut darauf vorbereitet. Angst geht immer mit Ungewissheit Hand in Hand. Man kann auch Angst nehmen, indem man häufiger kleinere Leistungsüberprüfungen macht. Wenn von zehn Tests dann mal einer danebengeht, ist das nicht so schlimm. Intransparent vergebene mündliche Noten wiederum führen etwa dazu, dass Schülerinnen und Schüler Fehler vermeiden wollen, Wissenslücken vertuschen und lieber gar nichts als etwas Falsches sagen. Hier ist es wichtig, die Kriterien für die Notenvergabe klar zu definieren – man kann diese auch gemeinsam mit den Lernenden erarbeiten – und den Schülerinnen und Schülern zu kommunizieren. Wesentlich ist auch, die mündlichen Leistungen systematisch zu erfassen und zu dokumentieren sowie den Schülerinnen und Schülern in regelmäßigen Abständen Feedback zu ihren Leistungen zu geben.
Prof. Jürgen Seifried hat als Diplom-Handelslehrer an einer kaufmännischen Schule unterrichtet. An der Universität Mannheim forscht er zu den Potenzialen des Lernens aus Fehlern. Weitere Forschungs-punkte sind etwa fachdidaktische Fragestellungen sowie Kompetenzentwicklung von Lehr- und Ausbildungspersonen.
LITERATUR ZUM THEMA
Seifried, Jürgen u. a.: Umgang mit Fehlern im Unterricht. Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW), Wirksamer Unterricht Band 7, 2022. (kostenloser Download)