Schulhündin Mia bereichert den Schulalltag an der der Christian-Erbach-Realschule plus im rheinland-pfälzischen Gau-Algesheim.

Heute ist Mia-Tag

Anna Roos ist Lehrerin für Biologie, Gesellschaftslehre und Religion an der Christian-Erbach-Realschule plus im rheinland-pfälzischen Gau-Algesheim. Sie bringt ihren ausgebildeten Schulhund Mia zweimal pro Woche mit in den Unterricht. „Momentan unterrichte ich mit Mia drei fünfte Klassen. Wenn sie dabei ist, sind die Kinder deutlich motivierter und leiser als sonst. Sie konzentrieren sich besser und das wirkt sich spürbar auf die aktive Unterrichtsteilnahme, die Qualität der Beiträge, aber auch auf das Sozialverhalten aus. Wenn Mia-Tag ist, freuen sich alle in der Schule.“

AUTORIN Gabriele Albert, Redakteurin Universum Verlag | FOTOS Dominik Buschardt | DATUM 08.05.2024

Ein fester Blick und eine kleine Handbewegung reichen, schon spitzt Hündin Mia ihre Ohren. Mit wachen Augen beobachtet sie ihr Frauchen. Die instruiert gerade ihre Klasse: „Immer nur einer von euch darf Mia ein Kommando mithilfe der Leckerli-Dose geben.“ Dazu sollen die Schülerinnen und Schüler einzeln nach vorne kommen, die Dose schütteln und Mia mit eindeutiger Geste zeigen, dass sie einen der Kunststoff-Knochen aufheben und bringen soll. Auf jedem Knochen steht ein Wort, das einen Gegenstand benennt. „Ihr müsst dann entscheiden, ob der eher klein oder groß ist“, sagt Anna Roos. „Wenn er klein ist, gehen wir alle in die Hocke und machen uns alle ganz klein, wenn er groß ist, recken wir uns in die Höhe.“

Die Kinder sind Feuer und Flamme. Eines nach dem anderen geht nach vorne, schüttelt die Dose, woraufhin die Hündin den flachen Plastikknochen mithilfe einer Holzkugel vorsichtig in das Maul nimmt und dem Kind bringt. Belohnt wird sie umgehend mit einem Leckerli. So geht das ein paar Mal. Auf den „Knochen“ stehen Begriffe wie Haus, Elefant, Regenwurm, Marienkäfer und Planet. Die Frage, ob es sich nun um kleine oder große Dinge handelt, können die Kinder natürlich schnell beantworten. „Das ist für Fünftklässler eine einfache Übung auf Grundschulniveau. Wichtig ist mir mit diesem Unterrichtseinstieg, dass sie Erfolgserlebnisse haben, sich ein wenig bewegen und sich auf Mia einstellen.“

Das scheint prima zu funktionieren. In der Klasse ist es auffallend ruhig und diszipliniert. Die Schülerinnen und Schüler sind konzentriert bei der Sache, wechseln sich ohne Streitereien mit Mia ab und halten sich an die Hunderegeln, die auf mehreren Plakaten im Klassenraum hängen: „Sei leise“, „Geh langsam an mir vorbei“, „Füttere mich nur mit Erlaubnis“ oder „Halte Abstand“ steht da unter anderem. Schülerin Lina ergänzt: „Es darf auch immer nur ein Kind zum Hund, sonst wird es Mia zu viel.“

Poster mit Regeln für den Schulhund An die Hunderegeln, die an mehreren Stellen im Klassenzimmer hängen, halten sich inzwischen alle Schülerinnen und Schüler.

Den Hund „lesen“ lernen

„Bevor Mia mit in eine Klasse kommt, müssen die Schüler im Umgang mit ihr geschult werden“, erklärt Lehrerin Anna Roos. „Dazu gehören die genannten Hunderegeln, die Kinder müssen aber auch begreifen, dass ein Hund eben ein Hund und kein menschlicher Spielkamerad ist. Sie müssen ihn sozusagen ‚lesen‘ lernen.“ Ein Hund brauche Ruhephasen, in denen er sich erholen könne – und er brauche Raum um sich herum, der ihm Sicherheit gäbe. „Wird er zu sehr bedrängt, fühlt er sich nicht mehr wohl und zieht sich zurück. Das müssen die Kinder akzeptieren.“ In dieser fünften Klasse scheinen die Regeln verinnerlicht zu sein. Alle gehen nur dann zu Mia, wenn sie ausdrücklich dazu aufgefordert werden.

Und was ist, wenn jemand Angst vor Hunden hat? „Das wird natürlich im Vorfeld geklärt“, betont die Lehrerin. Das gelte auch bezüglich eventuell vorliegender Hundehaarallergien oder sonstiger Vorbehalte, die man ernst nehmen müsse. „Wenn es so wäre, würden wir gemeinsam eine Lösung finden. Notfalls müsste das betreffende Kind für diese Unterrichtsstunde die Klasse wechseln.“ Ein Schüler in der Klasse leidet in der Tat unter Angst vor Hunden. Dank der Geduld und des freundlichen Wesens von Mia ist er aber dabei, diese zu überwinden. „Auch zwei meiner Kollegen waren nicht von Mia begeistert und haben einen großen Bogen um sie gemacht“, sagt Anna Roos. „Sie sind zwar immer noch keine Hundefans, können mit Mia aber mittlerweile gut umgehen.“

Bei der Anmeldung werden Eltern informiert

Direkt bei Schulanmeldung werden in der Christian-Erbach-Schule die Eltern darüber informiert, dass es insgesamt zwei Schulhunde gibt, die am Unterricht teilnehmen. So bekommen sie frühzeitig Gelegenheit, eventuelle Einwände zu erheben. „Das kam bislang aber noch nie bei uns vor“, erklärt Schulleiter Andreas Dilly, für den der Schulhund maßgeblich zur positiven Atmosphäre seiner Schule beiträgt.

„Gerade auf die jüngeren Schülerinnen und Schüler hat Mia einen mehr als guten Einfluss. Über sie lernen die Kinder Rücksicht zu nehmen und über eine längere Zeit hinweg leise und aufmerksam zu sein.“ Der Schulleiter freut sich auch über die positive Wirkung eines Hundes nach außen: „An Tagen der offenen Tür oder bei Schulbesuchen von Delegationen sind immer alle Besucher ganz begeistert von unseren beiden Schulhunden“, sagt er. „Ich betrachte sie als einen Baustein unserer facettenreichen Schulkultur.“

Mädchen liest Schulhund vor Wenn die sehr schüchterne Alexandra Mia vorliest, entspannt sie sich merklich, spricht viel lauter und deutlicher als normalerweise.

Hilfe bei der Inklusion

Doch zurück in die Klasse und zu Mia. Neben ihr sitzt mittlerweile die Schülerin Alexandra auf dem Boden. Sie wird von einer Schulbegleiterin unterstützt, die ihr dabei hilft, am Unterrichtsgeschehen teilnehmen zu können. Jetzt sitzt Alexandra neben Mia, streichelt sie zaghaft und liest ihr aus einem Buch vor: „Gerade für unsere unruhigen und sehr schüchternen Kinder ist Mia ein Segen“, meint Anna Roos. „Sie sind viel konzentrierter bei der Sache, wenn der Hund mit in der Klasse ist. Wenn sie ihr zum Beispiel vorlesen, vergessen sie mich und die anderen Kinder, entspannen sich merklich, sprechen viel lauter und deutlicher als normalerweise.“

Für die Lehrkraft steht fest: Mia gehört zu ihrem privaten und beruflichen Leben dazu und ist eine verlässliche Partnerin. Sie wünscht sich allerdings, dass es deutschlandweit für alle Schulhunde gesetzlich einzuhaltende Standards für die Aus- und Fortbildung gäbe.  „Leider gibt es nur sehr unkonkrete Empfehlungen, was dazu führt, dass viele unausgebildete Hunde, manchmal sogar völlig überforderte Welpen, mit in den Unterricht genommen werden. Das sehe ich sehr kritisch – auch aus dem Blickwinkel der Unfallversicherungsträger.“ Mia sieht das angesichts ihrer Qualifikation entspannt und hat für heute ihre Arbeit erledigt. Sie darf sich nun in dem eigens für sie eingerichteten Ruheraum erholen und ein Schläfchen machen.

Anna Roos mit Hündin Mia Ihr Hund Mia gehört für Anna Roos zu ihrem privaten und beruflichen Leben als verlässliche Partnerin einfach dazu. „Ich wollte schon immer einen Hund und dass Mia mich beruflich unterstützt, ist genau mein Ding.“

Anna Roos und Mia – ein Topteam

Anna Roos wollte schon immer einen Hund, und seit sie zum ersten Mal von Schulhunden gehört hatte, wusste sie: Das ist mein Ding. Sie ist Realschullehrerin für die Fächer Biologie, Gesellschaftslehre und katholische Religion und seit 2019 aktives Mitglied und Dozentin beim Arbeitskreis Schulhunde Rheinland-Pfalz:

https://schulhund.bildung-rp.de/wer-wir-sind.html

Mia stammt aus Griechenland. Sie kam als Welpe nach Deutschland und lebt seit November 2016 bei Anna Roos. Mittlerweile ist sie acht Jahre alt. 2019 hat sie an einer vom Arbeitskreis Schulhund Rheinland-Pfalz anerkannten Ausbildungsstätte verschiedene Kurse besucht, die Begleithundeprüfung abgelegt und die Schulhundeausbildung erfolgreich absolviert. Mia nimmt regelmäßig an Rezertifizierungen und Gesundheitschecks teil, um ihre Schultauglichkeit zu evaluieren.

Sie kommt seit fünf Jahren als Klassenhund zum Einsatz und besucht die Schule an zwei Tagen pro Woche. Ihre tägliche aktive Arbeitszeit umfasst maximal 45 Minuten in Präsenz im Klassenraum plus Erholungsphasen in ihrem persönlichen Ruheraum. Sie unterstützt die Kinder bei der Erarbeitung neuer Lerninhalte sowie bei der Wiederholung und Festigung von altem Lernstoff. Das geschieht meistens mithilfe von Dummys, einem Glücksrad oder anderen Hilfsmitteln. Sie wird mit großem Erfolg in der Einzelförderung von Kindern mit Beeinträchtigung sowie der Lese- und Lese-Rechtschreib-Schwäche-Förderung eingesetzt. Bei allen Einsätzen stehen das Tierwohl und die Sicherheit aller Beteiligten im Vordergrund.

Mehr Informationen inklusive kurzem Video zu Mia gibt es hier: