Buchprojekt mit Herz: Marianne Marheineke
Marianne Marheineke ist Lehrerin der dualisierten Ausbildungsvorbereitung für jugendliche Migrierende

Ein Buchprojekt mit Herz

„Ende der Sommerferien 2022 hat unser Kick-off-Workshop stattgefunden. Gemeinsam mit Jugendlichen und jungen Volljährigen, die sich für Literatur interessieren und gerade Deutsch als Zweitsprache lernen, entstand der Plan, ein Buchprojekt mit deutschsprachigen Literaturschaffenden auf die Beine zu stellen. Wir haben gemeinsam eine Erzählung von Olga Grjasnowa gelesen – dann reflektiert, inwiefern sie sich in der Hauptfigur des Guiseppe, Sohn eines sogenannten italienischen Gastarbeiters, wiederfinden.

AUTORIN Angela Krüger, Redakteurin Universum Verlag | DATUM: 01.02.23 | FOTOS Julia Knop

Ich bin gelernte Buchhändlerin  und Kulturschaffende – und Lehrerin in der dualisierten Ausbildungsvorbereitung für eingewanderte Personen an der BS 13 in Hamburg. In dieser Funktion unterrichte ich Sprache und Kommunikation, also Deutsch als Zweitsprache für jugendliche und junge volljährige Migrierte und Geflüchtete im Rahmen der Ausbildungsvorbereitung. Dieser Bildungsgang ist ein Regelangebot an den berufsbildenden Schulen. Er stellt den neu zugewanderten Jugendlichen, die sehr verschiedene Bildungsvoraussetzungen haben, empowernde Begleitende zur Seite und bereitet sie mittels Praktikumsphasen auf den Übergang in Ausbildung und Beschäftigung vor.

Diese geflüchteten Jugendlichen und junge Erwachsene  liegen mir am Herzen. Ihr Recht auf Bildung beschäftigt mich. Viele von ihnen sind in ihren Herkunftsländern gar nicht oder nur kurz zur Schule gegangen. Gleichzeitig ist ihre Zeit für den Verbleib in der Schule hier kurz. Die Arbeitswelt wartet auf sie. Ferienzeit miteinander verbringen, in Co-Creation mit Literaturschaffenden ein Buch entwickeln, in dem es um Menschen wie sie geht, das wäre toll.

Die Idee steht. Jetzt kümmere ich mich um die Umsetzung. Das ist sehr komplex. Ich möchte in Berlin lebende Literaturschaffende finden. Denn die Hauptstadt eignet sich gut. Alleine schon wegen der Vielfalt der Lebensentwürfe, die Menschen dort leben. Dafür werden wir im Frühjahr nach Berlin reisen. Dort werden weitere Jugendliche und junge Volljährige ins Buchprojekt einsteigen. Das Ganze als Projekt- und Kulturreise zu organisieren, entspricht ihrem Wunsch: Mal rauskommen, Städte sehen, neue Leute kennenlernen. Ich glaube, ich bin anfangs zu verschult an das Projekt herangegangen und habe die Erlebnispädagogik dabei total vergessen.

Für das Buch, das entstehen soll, habe ich ein paar Vorbilder im Kopf, zum Beispiel das Buch „Black Out – Liebe leuchtet auch im Dunkeln“. Hier haben sich Schwarze Autorinnen zusammengetan nachdem die Nichte einer der Autorinnen fragte, warum in den großen Liebesgeschichten eigentlich nie Schwarze Mädchen vorkommen. Die Autorinnen haben sich auf Ort, Zeit und Figuren geeinigt, diese miteinander vernetzt und diverse Liebesgeschichten aufgeschrieben.

Das Setting: Der Strom fällt aus und es wird langsam dunkel in der Stadt. Dieser besondere Moment bringt die Menschen zusammen, lässt sie einander neu begegnen. Meine Klasse, mit der ich die Geschichten vor einem Jahr im Rahmen des Unterrichts gelesen hatte, konnten sich sehr gut mit den Figuren des Buches identifizieren. Wann wird aus Freundschaft mehr? Sie waren gebannt, als beste Freunde – eingeschlossen in die Stadtbibliothek – nach der besten Liebesgeschichte suchen und „Beale Street Blues“ von James Baldwin gewinnt: Eine bittersüße Erzählung über Sandkastenfreude, aus denen ein Liebespaar wird. Sie haben die Luft angehalten, als zwei Mitschüler in der U-Bahn stecken bleiben und sich ihren Gefühlen stellen…

Spannend ist es für mich gerade, literarische Texte zu lesen, die unsere postmigrantische Gesellschaft reflektieren. Publizierende, die diesen Diskurs mitgestalten, ob mit Zeitungsartikeln, Essays, Erzählungen, Podcasts oder Romanen, möchten wir für unser Buchprojekt gewinnen. Denn wir gehen davon aus, dass sie unser Ziel des Empowerments teilen, das heißt denjenigen eine Stimme zu geben, die angekommen sind und bleiben.”

 

Fußnote:
Die Interviewte hat beim Sprechen den Genderstern benutzt, der hier schriftlich aus Gründen der Barrierefreiheit aber nicht abgebildet werden kann.