Mehr Mut
Auch wenn Jugendliche oft nur provozieren wollen: Lehrkräfte müssen bei diskriminierenden Äußerungen und rechten Parolen direkt eine Grenze ziehen. Außerdem gilt es, das soziale Miteinander zu stärken. Schulen können dabei auf Unterstützung zählen.
- Schulen müssen klare Regeln im Umgang mit Rechtsextremismus setzen
- Fortbildungen geben Lehrkräften mehr Handlungssicherheit
- Präventionsprojekte wirken Demokratiefeindlichkeit entgegen
Ob sie Hitlerbilder untereinander teilen, rassistische Schimpfwörter benutzen oder im Unterricht ausländerfeindliche Sätze fallen lassen: Immer öfter werden Lehrkräfte damit konfrontiert, dass Schülerinnen und Schüler rechtsextreme Tendenzen zeigen. Eine aktuelle Anfrage der Wochenzeitung ZEIT bei den Innenministerien der Bundesländer weist auf einen starken Trend hin: Wo Daten erhoben wurden, stieg die Zahl der Vorfälle und Straftaten an Schulen demzufolge zwischen 2023 und 2024 zum Teil sprunghaft an. Allein in Hessen haben sich die Meldungen mehr als verdreifacht. Stellt sich die Frage: Wie sollten Schulen mit solchen Fällen umgehen? Muss schon bei ersten Anzeichen für Menschenhass, Rechtsextremismus und Demokratiefeindlichkeit interveniert werden? Oder kann es ratsam sein, solche Provokationen erst einmal zu ignorieren?
Wer schweigt, toleriert Fehlverhalten
„Auf keinen Fall ignorieren“, sagt die stellvertretende Leiterin des Demokratiezentrums im Beratungsnetzwerk Hessen, Tina Dürr, vom Institut für Erziehungswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg. „Wer schweigt, sendet damit die Botschaft an alle Anwesenden: Eine diskriminierende Äußerung wird toleriert.“ Deshalb lautet ihr Plädoyer: „Handeln!“ Die Lehrkräfte sollten solche Aussagen unbedingt unterbinden und ein klares Zeichen setzen. „Wie dieses Zeichen aussieht, ist abhängig von der Situation und der Person“, betont die Pädagogin. Nicht immer gebe es Zeit und Raum, um sich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Und nicht immer trauen Lehrkräfte sich das zu. Das Demokratiezentrum bietet Schulen kostenlose Beratungen vor Ort an, die Nachfrage steigt. „Wenn sich einzelne Personen mit einer Situation überfordert fühlen, kommen wir ins Spiel“, sagt Tina Dürr. In der Regel sei eine Intervention von außen sehr hilfreich. Das Ziel: „Die Menschen im System handlungsfähig zu machen.“
Immer mehr Jugendliche fänden es cool, rechtsextremistische Positionen nach außen zu tragen. „Teilweise auch, um zu provozieren.“ Hinter rassistischen, sexistischen oder antisemitischen Äußerungen stecke nicht zwangsläufig bereits ein rechtsextremes Weltbild. Trotzdem gilt: „Wichtig ist, dass die Lehrkräfte eingreifen und deutlich machen, dass sie solche Äußerungen nicht dulden“, betont die Demokratieexpertin. Sowohl als klare Botschaft an die Person selbst, aber auch zum Schutz anderer. Sonst sei die Gefahr groß, dass sich jüdische, migrantische oder homosexuelle Schülerinnen oder Schüler noch mehr zurücknehmen. Zudem gelte es zu prüfen, ob Handlungen strafrechtlich relevant seien, etwa der Hitlergruß.
Fortbildungen und kollegialer Austausch helfen
„Wichtig ist, dass Wissen vorhanden ist“, betont Tina Dürr. Was sind rassistische Äußerungen? Wie sehen rechtsextreme Symbole aus? Woran erkennt man Verschwörungstheorien? Dafür seien Fortbildungen sinnvoll, auch kollegiale Fallberatung sei sehr hilfreich. In Workshops können Lehrkräfte zudem lernen, wie sie am besten mit konkreten Situationen umgehen. Regel Nummer eins: „Niemand darf beleidigt werden.“
Es gehe darum, aktiv zu werden – und die demokratischen Werte in der Schule langfristig zu stärken. „Dafür müssen alle mit an den Tisch“, sagt die Fachfrau. Die Schulgemeinschaft müsse definieren, für welche Werte sie eintritt. „Ganz wichtig ist, dass die Schulleitung dahintersteht.“ Sehr hilfreich ist, wenn die Schule gemeinsam ein Gesamtkonzept zur Prävention sowie zum Umgang mit Vorfällen entwickelt. Damit beziehen alle klar Position. Wenn die Lehrkräfte wissen, dass sie die Rückendeckung der ganzen Schule haben, würden sie viel sicherer in ihrem Handeln, sagt Tina Dürr. Oft scheuten Lehrkräfte nämlich den Dialog mit Schülerinnen und Schülern aus Angst, eine Diskussion nicht handhaben zu können. Doch die Expertin plädiert dafür, mehr Mut zu haben – und die Jugendlichen anzusprechen. Sinnvoll kann es sein, externe Fachleute dazuzuholen, die sicherstellen, dass in einer Diskussion niemand verletzt wird und Widersprüche offengelegt werden. „Es braucht den Raum, Dinge richtigstellen zu können, die auf TikTok & Co. verbreitet werden“, betont die Pädagogin. Ob beim Sprühen von Graffiti oder der Pflege des Schulgartens: Auch Projekttage bieten eine gute Gelegenheit für den Austausch. „Die kleinen Momente, wo sich Räume öffnen, sind total wertvoll.“
Jede Auseinandersetzung lohnt
Auch Andreas Beelmann, Professor am Institut für Psychologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena, fordert Lehrkräfte auf, mutiger zu sein. An Schulen sei oft die Tendenz zu beobachten, solche Probleme „unter dem Radar“ zu halten. Viele Schulen wollten Ärger vermeiden, sagt der Professor. „Das halte ich für einen Fehler.“ Auch wenn es zunächst etwas Aufwand und Haltung erfordere, lohne sich die Auseinandersetzung. „Ansonsten werden sich die Probleme eher noch verschlimmern.“ In seiner Forschung zur Prävention im Kindes- und Jugendalter hat er sich intensiv mit der Frage beschäftigt, wie es zu einer Radikalisierung kommt und was man dagegen tun kann. „Die Aneignung einer extremen Ideologie ist nicht der Anfang, sondern der Endpunkt der Radikalisierung“, betont der Psychologe. Mit anderen Worten: Prävention muss früher ansetzen. Nicht erst, wenn die Jugendlichen bereits auffällig werden.
Seine Forschung zeigt, dass die Radikalisierung in mehreren Stufen erfolgt. Los geht es damit, dass sich einige Kinder oft schon im Kindergarten mit dem Sozialverhalten schwertun: Sie hätten Probleme damit, sich an Regeln zu halten, erklärt Andreas Beelmann, und zeigten aggressives Verhalten. Ab Ende der Grundschulzeit können sie Vorurteile gegen bestimmte soziale Gruppen entwickeln. Die Abwertung anderer Menschen beschreibt der Professor als zweite Stufe. Im Jugendalter kommen Probleme mit der Selbstfindung hinzu. Die Schülerinnen und Schüler finden schwer Anschluss. „Laufen alle drei Stufen problematisch ab, wird die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sich die Jugendlichen radikalisieren“, sagt der Psychologe. Mit der klassischen Bildungsarbeit ließen sich bestimmte Gruppen dann nur noch schwer erreichen.
Demokratie erleben im Schülerparlament
„Es ist wichtig, Schülerinnen und Schüler selbst Demokratie erleben zu lassen“, sagt Andreas Beelmann, „das geht im Klassenrat oder Schülerparlament, wo sie sich beteiligen können und Einfluss haben.“ So könnten zum Beispiel alle Kinder eine Aufgabe für die Gemeinschaft übernehmen: ob Müll auf dem Pausenhof wegräumen oder in der Schulbibliothek aushelfen. Auch Projekttage könnten ein Gruppengefühl fördern. „So eine Erfahrung hat Wirkung auf die soziale Entwicklung der Kinder – und verhindert Extremismus.“
Projekte stärken Prävention
Das Präventionsprojekt „Achtung?!“ will Schülerinnen und Schüler mit einem Theaterstück frühzeitig über Gefahren aufklären. Das kostenlose Angebot für Schulen ist beim Kompetenzzentrum gegen Extremismus (konex) beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg angesiedelt und setzt bewusst niedrigschwellig an. „Ziel ist es, zu sensibilisieren“, sagt Projektkoordinatorin Julia Filipps, daher auch der Name „Achtung!“. Das Projekt richtet sich an 9. und 10. Klassen, Lehrkräfte sowie Eltern. Schulen müssen dafür lediglich eine Turnhalle, Mensa oder ein Foyer sowie Zeit zur Verfügung stellen. Das Präventionstheater „Q-rage“ zeigt auf der Bühne, wie sich zwei Freunde radikalisieren: Als Lina in eine andere Stadt zieht, sucht sie Anschluss und rutscht in rechtsextreme Kreise. Tarek bleibt einsam zurück, streitet viel mit seinen Eltern und landet über TikTok in salafistischen Kreisen. „Die Mechanismen, wie die Jugendlichen abgeholt werden, sind dieselben“, betont Julia Filipps. Zu dem Projekt gehört auch, dass Fachleute vom Stuttgarter Verein für politische Bildung, Inside Out e. V., danach mit den Klassen darüber sprechen, wie es ihnen mit dem Stück ging und was sie für sich mitnehmen. „Wichtig ist, selbst eine Haltung zu entwickeln“, sagt Julia Filipps. Die Botschaft: „Passt auf!“
Themenheft „Rechtsextremismus & Schule“ der Bundeskoordination „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“

Tina Dürr vom Institut für Erziehungswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg ist stellvertretende Leiterin des Demokratiezentrums im Beratungsnetzwerk Hessen.

Andreas Beelmann ist Professor am Institut für Psychologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Julia Filipps ist Projektkoordinatorin im Kompetenzzentrum gegen Extremismus (konex) beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg.