Gut gelotst!
Emma (15) und Sarah (16) sorgen als freiwillige Schülerlotsinnen dafür, dass alle Mitschülerinnen und Mitschüler sicher das Gymnasium an der Schwertstraße in Solingen erreichen. Ausgebildet hat die beiden Hauptkommissarin Katrin Grastat, Verkehrserzieherin beim Polizeipräsidium Wuppertal. „Gerade die Jüngeren sind sehr für unsere Unterstützung beim Überqueren der Straße dankbar“, sagt Emma. „Außerdem sind wir auch Vorbild für andere, sich sozial zu engagieren.“
7:45 Uhr, Malteserstraße in Solingen. In grellgelber Warnweste mit „Verkehrshelfer“-Aufschrift und mit reflektierender Signalkelle in der Hand steht Emma Grastat, 15, auf dem Gehsteig. In derselben Kleidung wartet ihre 16-jährige Teamkollegin Sarah auf der anderen Straßenseite, direkt vor dem Eingang zum Gymnasium Schwertstraße. Fast 1.000 Schülerinnen und Schüler besuchen das älteste Gymnasium Solingens, viele von ihnen müssen auf ihrem Schulweg die Malteserstraße an dieser Stelle überqueren. „Hier ist 50er-Zone, es gibt weder eine Ampel noch einen Zebrastreifen oder eine Verkehrsinsel als Überquerungshilfe“, erklärt Emma. „Deswegen sind hier jeden Morgen Schülerlotsen wie wir im Einsatz, um besonders den Jüngeren sicher über die Straße zu helfen.“
Noch steht Emma auf dem Gehweg, ihre Arme zur Seite ausgestreckt. So hält sie auch mithilfe der Signalkelle einige Schülerinnen und Schüler zurück, die sich hinter ihr angesammelt haben. Weitere sind erstmal nicht in Sicht. Emma schaut zu Sarah rüber und ruft: „Zu!“ Dann dreht sie sich in Richtung des Autofahrers, der sich auf ihrer Straßenseite nähert, nimmt Blickkontakt auf und macht durch die seitlich ausgestreckte Signalkelle auf sich aufmerksam. Als sie sicher ist, dass der Fahrer das Tempo drosselt, um anzuhalten, tritt sie entschlossen auf die Straße. Sarah macht es gegenüber genauso. Vor den Schülerlotsinnen haben die Fahrzeuge gestoppt, im Rücken der beiden gehen die Schülerinnen und Schüler zügig über die Straße. Als die Letzten den Gehweg vor dem Gymnasium betreten haben, rufen Emma und Sarah gleichzeitig das Kommando „Auf!“, verlassen die Straße und senken ihre Signalkellen.
Früh aufstehen für mehr Schulwegsicherheit
„Gerade die Jüngeren sind sehr für unsere Unterstützung beim sicheren Überqueren der Straße dankbar“, sagt Emma. „Außerdem können wir als Schülerlotsen auch Vorbild für andere sein, sich sozial zu engagieren.“ Die 15-Jährige geht in die zehnte Klasse und ist seit drei Jahren als Schülerlotsin aktiv. Sarah, 16, ist in der elften Klasse und übt das Ehrenamt seit vier Jahren aus. „An jedem Schultag wird vor Unterrichtsbeginn gelotst“, erklärt Emma. Die Schichten zu besetzen ist am Gymnasium Schwertstraße kein Problem. „Wir haben momentan mehr als 40 aktive Schülerlotsinnen und -lotsen“, sagt Schulleiterin Kirsten Dicke. „Die Bereitschaft ist wirklich hoch, das ist klasse.“ Dafür dürfte auch Emmas Mutter mitverantwortlich sein.
Hauptkommissarin Katrin Grastat ist als Verkehrserzieherin beim Polizeipräsidium Wuppertal beschäftigt. In ihren Zuständigkeitsbereich fallen auch Kindergärten, Schulen und Seniorenheime in der Nachbarstadt Solingen. Dass ihre Aufgabe sie offenkundig begeistert, hat gute Gründe. „Früher war ich Streifenpolizistin und wurde ständig aggressiv angegangen: ,Was willst du denn hier?‘ Wenn wir gerufen wurden, war immer etwas Blödes passiert: ein Verkehrsunfall, eine Gewalttat oder auch nur eine zu laute Party“, blickt sie zurück. Heute werde sie überall mit offenen Armen empfangen. „Egal ob wir Verkehrserziehung im Kindergarten machen oder Fahrradtraining in der Grundschule, die Schülerlotsenausbildung in der Mittelstufe, einen Verkehrs-Crashkurs in der Oberstufe oder Rollatortraining im Altenheim – alle haben strahlende Augen und sind dankbar für die Unterstützung.“
Schülerlotsen müssen gut ausgebildet sein
Katrin Grastat war es auch, die ihre Tochter Emma, Sarah und weitere Interessierte im Gymnasium an der Schwertstraße in einer rund dreistündigen Schülerlotsenausbildung für den Einsatz im Straßenverkehr vorbereitete. „Wer sich dem Verkehr in den Weg stellt, muss ganz genau wissen, was er tun muss und darf – und was nicht“, erklärt die Verkehrssicherheitsberaterin. Die Lotsenstelle, es können auch mehrere sein, haben Verkehrspolizei und Schulleitung bei einer gemeinsamen Begehung des Schulumfelds festgelegt. „Entscheidend ist: Woher kommen die Schülerströme, wo sind die Bushaltestellen, wo stauen sich die Elterntaxis – und wo ist die Lotsenstelle sinnvoll?“, sagt die Oberkommissarin. Die Malteserstraße sei im Bereich des Gymnasiums zu schmal, um eine Verkehrsinsel als Überquerungshilfe einzurichten, ein Zebrastreifen wäre an viele rechtliche Voraussetzungen gebunden und für eine Ampel sei der Fußgängerstrom abseits des Unterrichtsbeginns und -endes zu gering „Da diese Möglichkeiten alle ausscheiden, wurde der Lotsendienst eingerichtet. Sein Ziel ist es, den Schülerinnen und Schülern im Nahbereich der Schule eine gefahrlose Möglichkeit zu bieten, die Fahrbahn zu überqueren.“
Über allem steht aber eine Grundregel: Niemals allein lotsen! Es müssen immer mindestens zwei Personen im Einsatz sein, eine pro Fahrtrichtung. „Sollte nur ein Schülerlotse vor Ort sein, weil jemand krank ist oder verschlafen hat, wird nicht gelotst“, sagt Katrin Grastat. „Das wäre viel zu gefährlich. Dasselbe gilt für Gewitter, Nebel oder Glatteis.“ Weitere Aspekte der Ausbildung: Warum es wichtig ist, die Lotsenkleidung zu tragen? Warum muss man unbedingt Blickkontakt zu den Personen am Steuer halten? Wie lässt sich der tatsächliche Bremsweg inklusive des Reaktionswegs berechnen? „Das alles zu wissen und nach der Theorie auch an der Lotsenstelle unter Aufsicht zu üben, ist auch für die Sicherheit der Lotsen selbst wichtig. Wir wollen ja nicht, dass jemand auf die Straße springt und sich selbst in Gefahr bringt“, sagt Katrin Grastat. „Um das richtige Verhalten im Schülerlotsendient sicherzustellen, ist die Ausbildung durch die Polizei oder die Verkehrswacht unbedingt nötig.“ Zu Ende der Ausbildung erhalten alle Teilnehmenden ein Booklet mit den wichtigsten Regeln für den Schülerlotsendienst, in dem auch eingetragen ist, durch wen die Person ausgebildet wurde – offizieller Stempel der Verkehrswacht inklusive.
Umsicht, Zuverlässigkeit und Durchsetzungsvermögen sind gefragt
Emma ist nach drei Jahren schon eine erfahrene Schülerlotsin. Die Warnweste, mit der sie auch im Dunkeln aus 150 Metern Entfernung sichtbar ist, und die ebenfalls reflektierende Signalkelle für den Einsatz hat sie sich wie immer vor Schichtbeginn im Schulsekretariat abgeholt. „Dort gibt es auch wetterfeste Warnjacken und Käppis für kältere oder regnerische Tage“, sagt sie. Das alles hat die Verkehrswacht zur Verfügung gestellt. Was man neben der Ausrüstung und der Ausbildung noch für den Schülerlotsendienst benötigt? Emma muss nicht lang nachdenken: „Umsichtiges Verhalten gegenüber allen Verkehrsteilnehmern. Durchsetzungsvermögen, um auch mal ein Kind zurückzuschicken, das im falschen Moment losläuft. Zuverlässigkeit, weil die Eltern, die Schulleitung und die Polizei sich auf uns verlassen“, sagt sie. „Auch Freundlichkeit ist wichtig, dann sind alle einsichtiger und es funktioniert insgesamt besser.“ Manche Eltern seien morgens gestresst, während sie ihre Kinder mit dem Auto an der Schule absetzen, ergänzt Sarah. „Wenn wir dann darauf hinweisen, dass man neben unserer Lotsenstelle nicht anhalten darf, weil dort absolutes Halteverbot ist und das gefährlich ist, reagieren manche etwas ungehalten“, erklärt die 16-Jährige. „Wir sollen aber Konfrontationen ausweichen und, falls es mal ein Problem gibt, die Verkehrslehrerin oder die Schulleitung informieren.“
Das bestätigt Katrin Grastat. „Die Lotsen machen das freiwillig, stehen früher auf und stehen bei Wind und Wetter am Straßenrand, um allen einen sicheren Schulweg zu ermöglichen“, sagt die Verkehrssicherheitsberaterin. „Für diesen tollen Einsatz brauchen sie sich von niemandem anmotzen lassen. Deswegen müssen die Schülerlotsen in jeder Situation wissen, dass alle ohne Wenn und Aber hinter ihnen stehen: die Schule, die Polizei, die Stadt.“ Gebe es ein Problem an der Lotsenstelle, sollen sie sich gar nicht auf große Diskussionen einlassen, sondern das Kennzeichen aufschreiben und die Schule informieren. „Notfalls führen wir von der Polizei ein verkehrsdidaktisches Gespräch“, erklärt Katrin Grastat. „Das kam aber bisher nur zwei Mal vor, seit wir 2016 den Lotsendienst hier an der Schule eingeführt haben.“
Unfälle verhindern, die Schulgemeinschaft stärken
Erfreulicherweise noch kleiner ist eine andere Zahl. „An den Lotsenstellen aller Solinger Schulen ist es noch nie zu einem schweren Verkehrsunfall mit Personenschaden gekommen“, betont Katrin Grastat den positiven Effekt des Ehrenamts. Schulleiterin Kirsten Dicke weiß den Einsatz von Emma, Sarah und ihren zahlreichen Teammitgliedern ebenfalls zu schätzen – auch über die erhöhte Schulwegsicherheit hinaus. Am Ende jedes Schuljahrs werden die Lotsinnen und Lotsen für ihr Engagement geehrt, zudem erhalten sie einen lobenden Zeugnisvermerk. „Ich bin davon überzeugt, dass jede Schule von der Gemeinschaft lebt. Dass die Größeren für die Kleineren eine Vorbildunktion übernehmen“, sagt sie. „Zuverlässigkeit, Freundlichkeit, füreinander da zu sein – das ist ganz wichtig, das macht eine gut funktionierende Schule aus. Unsere Schülerlotsen leben das jeden Tag vor.“
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