Schwimmunterricht im Westbad Gießen
Die Schüler der 5. Klasse lernen Tauchen und Gleiten im Wasser

Schwimmunterricht à la carte

Immer weniger Kinder können sicher schwimmen. Deswegen haben gesetzliche Unfallversicherung und Kultusministerkonferenz Materialien entwickelt, um den Schwimmunterricht an Schulen zu stärken. Wie dies mithilfe eines Handkartensets funktioniert und welchen Herausforderungen sich Schwimmlehrkräfte stellen müssen, erklärt Sportlehrerin Rebekka Ott im Gießener Hallenbad.

  • Corona hat Schwimmdefizit verstärkt
  • DGUV und Kultusministerkonferenz unterstützen Schwimmausbildung in der Schule
  • Wie Kinder und Jugendliche mit Hilfe von Handkarten schwimmen lernen
AUTORIN Anna Nöhren, Redaktion (Universum Verlag) | DATUM: 10.11.22 | FOTOS Miriam Prüßner

Es ist warm, feucht und riecht nach Schwimmbad. Kleine Wellen schwappen aus dem Becken des Hallenbads, während 42 Fünftklässlerinnen und Fünftklässler im Wasser voller Motivation das Tauchen und Gleiten üben. Gemeinsam mit drei Kolleginnen und Kollegen beaufsichtigt Rebekka Ott die Aktionen vom Beckenrand aus. „Beim Gleiten Beine lang, Fußspitzen gestreckt“, erklärt die Sportlehrerin der Gießener Gesamtschule Ostschule. „Schaut nochmal auf die Karten.“

HANDKARTEN ZUR UNTERSTÜTZUNG

Schwimmen lernen mithilfe von Karten? Am Rand des Schwimmbeckens hat die Pädagogin laminierte Handkarten als Erinnerungshilfe für ihre Schülerinnen und Schüler abgelegt. Auf ihnen wird der Ablauf der Schwimmübungen näher erklärt. Die Karten gehören zu einem Set, das die gesetzliche Unfallversicherung Lehrkräften neben weiteren Praxismaterialien anbietet. Ziel ist es, die Schwimmausbildung an den Schulen zu stärken. Dahinter steht die gemeinsame Initiative „Sicherheit und Gesundheit im und durch den Schulsport“, abgekürzt SuGiS von DGUV und Kultusministerkonferenz.

Als Praktikerin war Rebekka Ott selbst daran beteiligt, das Handkartenset zu entwickeln. Mittlerweile nutzt sie die Karten erfolgreich im eigenen Schwimmunterricht. „In den fünften Klassen kann man die Übungen sehr gut einsetzen, um die Grundfertigkeiten auszubilden“, erzählt die 37-Jährige. „In der Oberstufe nehme ich gern die Fehlerbilder, um zum Beispiel die Gesamtkoordination beim Kraulschwimmen zu üben.“

Sich sicher und angstfrei im Wasser bewegen zu können, wird aus Sicht der Schwimmlehrerin im Schulalltag zu einem immer wichtigeren Thema. Eigentlich bedeutet sicher schwimmen, dass Kinder und Jugendliche ausdauernd schwimmen können und sich auch im Tiefwasser aus jeder Situation im Wasser an Land bringen können – das entspricht den Anforderungen des Schwimmabzeichens Bronze.

NACHHOLBEDARF DURCH CORONA

Doch in der Realität beobachtet Ott, dass in ihren fünften Klassen von Jahr zu Jahr mehr Kinder sind, die dies nicht können. Aus Sicht der Lehrerin ist das nicht nur dem Umstand geschuldet, dass in zahlreichen Kommunen die Schwimmbäder geschlossen werden. Sie sieht einen weiteren Grund: „Viele Kinder haben in der motorischen Entwicklung großen Nachholbedarf. Manche können in der fünften Klasse nicht einmal rückwärtsgehen.“ Während der Coronapandemie habe sich das Problem noch verschärft – viele Kinder sind in der Zeit gar nicht schwimmen gegangen. Die Rückstände seien immens.

Unter diesen Umständen kann es für Lehrkräfte eine Herausforderung sein, die Sicherheit im Schwimmunterricht zu gewährleisten. Rebekka Ott hingegen ist seit ihrem sechzehnten Lebensjahr Schwimmtrainerin und sieht sich dieser Aufgabe gut gewachsen. Für sie ist eine gute Vorbereitung des Schwimmunterrichts das A und O: Jede Stunde sollte im Vorfeld genau durchdacht sein, Abweichungen vorausschauend miteingeplant werden, Materialien zu Stundenbeginn am Beckenrand bereitliegen.

Nachträglich noch Schwimmflossen aus dem Rollcontainer holen, das geht aus ihrer Sicht nicht: „Den Kindern den Rücken zudrehen ist ein No-Go, auch in fünf Sekunden kann im Wasser viel passieren.“

VIER NIVEAUSTUFEN, VIER GRUPPEN

Bei der Vorbereitung ihres Unterrichts nutzt die 37-Jährige die DGUV Informationen und das Handkartenset. Dabei werden die Schwimmkenntnisse der Kinder und Jugendlichen in vier Niveaustufen eingeteilt: Wassergewöhnung, Grundfertigkeiten, Basisstufe Schwimmen und das sichere Schwimmen Können. „Wenn wir die Kinder zu Beginn des Schuljahres in unterschiedlich starke Gruppen einteilen, geben die Niveaustufen eine gute Orientierung.“ Entsprechend der unterschiedlichen Niveaustufen teilen sich im Gießener Schwimmbad vier Gruppen das Becken, Rebekka Ott betreut eine von ihnen.

Unter ihren Kindern sind auch drei muslimische Mädchen. In bunten Badeanzügen drehen, tauchen und gleiten sie durchs Wasser. Burkinis, eine Badebekleidung, die bis auf Gesicht, Hände und Füße den gesamten Körper bedeckt, trugen erst zwei Mädchen in Otts Schwimmunterricht. Ein Problem war das nicht: „Das Mehr an Kleidung hat die Mädchen nie gestört.“

Kritisch sieht die Lehrerin eine andere Badebekleidung: Immer häufiger tragen Kinder kurze Neoprenanzüge, sogenannte Shortys, „weil sie cool sind.“ Die Gefahr: Das Neopren gibt dem Körper wie eine Schwimmhilfe zusätzlichen Auftrieb. Gehen diese Kinder eines Tages ohne Shorty ins Wasser, überschätzen sie möglicherweise ihre schwimmerischen Fähigkeiten.

Rebekka Ott beobachtet aufmerksam das Geschehen im Becken. Dort springen Kinder ins Wasser, tauchen auf den Boden oder rollen sich voller Spaß über bunte Poolnudeln. Von Überschätzung oder Überforderung ist, jedenfalls beim heutigen Besuch im Hallenbad, nichts zu sehen.

Mithilfe des laminierten Handkartensets können Schwimmlehrkräfte die Grundfertigkeiten leichter vermitteln und die Gesamtkoordination im Wasser verbessern.

 

MEHR INFOS

„Durch Corona sind viele Kinder nicht schwimmen gegangen.“ In einem Videointerview berichtet Lehrerin Rebekka Ott darüber, welche Auswirkungen diese Entwicklung für den Schwimmunterricht hat

UNTERSTÜTZUNG FÜR DEN SCHWIMMUNTERRICHT

Das Handkarten-Set für Schwimmlehrkräfte kann kostenpflichtig bestellt werden

Die Handreichung DGUV Information 202-107 „Schwimmen Lehren und Lernen in der Grundschule“ kann von Schulen und Lehrkräften kostenfrei beim zuständigen Unfallversicherungsträger bestellt oder hier heruntergeladen werden

Zusätzlich richtet sich die DGUV Information 202-102 „Schwimmen lernen in der Grundschule – einfach und sicher“ in deutscher und arabischer Sprache an Kinder und Jugendliche mit wenig Schwimmerfahrung

Das Webportal „Sichere Schule“ der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) liefert Antworten auf viele Fragen rund um den Schwimmunterricht.

Im DGUV Schulportal „Lernen und Gesundheit“ finden Sie für die Sekundarstufe I die kostenfreien Unterrichtsmaterialien „Sicher schwimmen“

Materialien zum Schwimmen in der Schule von Lehererinnenfortbildung Baden-Württemberg