Handlungshilfen für Lehrkräfte und Schulleitungen bei Verdacht auf Sexualstraftaten

Strafsache: Anzeigen oder nicht?

Bei einem Verdacht auf einen sexualisierten Übergriff in der Schule – wie auch bei anderen Straftaten – stellen sich die Lehrkräfte und Schulleitung oft die Frage: Sollen wir jetzt die Polizei holen und Anzeige erstatten – oder lieber nicht?

AUTORIN Gabriele Albrecht, Redakteurin Universum Verlag | FOTO Kzenon, Adobe Stock | DATUM 08.11.2023

Die Zweifel sind berechtigt, denn dieser Schritt sollte vorab gut überlegt werden. Ist die Anzeige erst einmal erstattet, läuft immer ein polizeiliches Ermittlungsverfahren an. Die Polizei unterliegt nämlich einer Strafverfolgungspflicht und ist per Gesetz verpflichtet, ein Strafverfahren einzuleiten. Und zwar auch, wenn das Opfer selbst oder seine Eltern keine Strafanzeige erstatten wollen und kein Interesse an einer Strafverfolgung haben. Fehlen beispielsweise belastbare Beweise, ist eine Strafanzeige für das Opfer nicht immer hilfreich. Im Gegenteil, der Prozess könnte erniedrigend und retraumatisierend sein. Der Täter oder die Täterin könnte zum Beispiel Recht bekommen, freigesprochen werden und das Opfer würde ein weiteres Mal auf institutioneller Ebene einen absoluten Kontrollverlust erleben.

Hier ist eine Anzeige unverzichtbar

Selbstverständlich muss die Polizei im Falle einer akuten Bedrohung oder Gefahr für das Leben von Schülerinnen und Schülern oder anderen Schulangehörigen unverzüglich informiert werden. Das betrifft Fälle von Mord, Totschlag, Raub, Geiselnahme oder Brandstiftung. Auch bei sexueller Nötigung, sexuellem Kindesmissbrauch und Vergewaltigung sowie Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, bei erheblichen Fällen von Bedrohung, Sachbeschädigung oder Nötigung und bei Verbreitung von verbotenen Inhalten (z. B. extreme Gewalt, extremistischen Parolen, Missbrauchsdarstellungen) gibt es keine Alternative: Hier muss sofort die Polizei hinzugezogen und Strafanzeige erstattet werden.
In anderen, weniger schweren Fällen (z. B. unsittliches Berühren, verbale Beleidung) gelten die in einem Schulerlass oder in der Schule intern aufgestellten Meldewege und Notfallpläne. Bei vielen Verdachtsfällen wird empfohlen, eine Fachberatungsstelle oder Opferhilfeeinrichtung hinzuzuziehen und sich dort Hilfe und Unterstützung – auch im Sinne des Opferschutzes – zu holen.

Besonderheiten bei Verdacht auf Sexualstraftaten

Kinder und Jugendliche, die Opfer sexueller Gewalt wurden, können Taten meistens sehr gut geheim halten. Oft werden sie von Täterinnen und Tätern dazu gezwungen. Diese manipulieren geschickt oder drohen Betroffenen beispielsweise mit Gewalt (auch gegen andere dem Opfer nahestehende Personen). Betroffene schweigen auch, weil sie große Scham empfinden oder das Geschehene verdrängen wollen. Bei einer Vermutung und einem Verdacht auf sexuelle Gewalt sollte entsprechend behutsam vorgegangen und alle Beobachtungen und andere Hinweise genau abgewogen werden. Bei Vermutung und Verdacht auf sexuelle Gewalt im schulischen Kontext sollten sich Lehrkräfte auf jeden Fall Unterstützung von Fachleuten holen. Ein Gespräch mit ihnen kann dabei helfen, das Geschehen einzuordnen und das weitere Vorgehen zu planen. Auch das Jugendamt muss bei entsprechenden landeseigenen Regelungen über den Verdacht auf sexuelle Gewalt informiert werden.

So handeln Sie bei Verdacht auf eine Sexualstraftat im schulischen Kontext:

  • Nehmen Sie Hinweise und mögliche Schilderungen ernst.
  • Vermeiden Sie emotionale Aktionen und Panik, bleiben Sie besonnen.
  • Überlegen Sie in Ruhe, wie Sie den Vorfall klären und wie Sie das Opfer vor weiteren Übergriffen schützen können. Halten Sie sich – falls vorhanden – an den für Ihre Schule erarbeiteten Notfallplan.
  • Holen Sie sich Hilfe und Unterstützung bei Fachberatungsstellen und Opferschutzeinrichtungen

Weitere Informationen erhalten Sie unter www.missbrauch-verhindern.de oder unter www.hilfeportal-missbrauch.de. Anonyme Beratung erhalten Sie telefonisch unter 800 22 55 530.

Quelle:Informationen Ihrer Polizei. Sicherheit im Medienalltag. SCHULE FRAGT. POLIZEI ANTWORTET. Eine Handreichung für Lehrerinnen und Lehrer
Hier finden Sie auf Seite 29 ein Ablaufdiagramm zu der Frage: Wie geht es nach einer Strafanzeige weiter?