„Schon vorschulische Programme sind hilfreich“

Alle Eltern wünschen sich, dass ihre Kinder sicher zur Schule und zurück kommen. Schulwegpläne können helfen, Problemstellen zu erkennen und zu entschärfen. Auch der Erstellungsprozess spielt eine wichtige Rolle.

  • 2021 gab es rund 62.500 meldepflichtige Schulwegeunfälle
  • Ein Schulwegplan sorgt für mehr Verkehrssicherheit
  • Beim Erstellungsprozess sind alle Beteiligten gefragt
AUTORIN Susanne Layh, freie Journalistin

Herr Knittel, wie sicher sind Kinder in Deutschland auf dem Weg zur Schule?

Die Frage ist so pauschal schwierig zu beantworten – fest steht allerdings, dass die Zahl der im Straßenverkehr verletzten Kinder und Jugendlichen seit Jahrzehnten sinkt. Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung, die neben den verbesserten fahrzeug- und verkehrstechnischen Maßnahmen auch wesentlich auf eine wirkungsvolle Verkehrserziehung und Mobilitätsbildung zurückzuführen ist.

Gibt es auch ein „Aber“?

Ja, denn noch immer ist der Weg zur Bildungseinrichtung und nach Hause eines der Hauptrisiken, einen schweren oder tödlichen Unfall zu erleiden. Im Jahr 2021 beispielsweise gab es laut einer Statistik der DGUV mehr als 62.500 meldepflichtige Schulwegunfälle in Deutschland, davon 16 mit tödlichem Ausgang. Und da fanden noch wesentliche Phasen des Homeschoolings statt, die Zahlen fallen also sogar recht niedrig aus.

Sind vor allem Schülerinnen und Schüler betroffen, die zu Fuß gehen oder die mit dem Fahrrad kommen?

Die Unfallschwerpunkte hängen sehr stark mit dem Alter der Schülerinnen und Schüler zusammen. Die jüngste in der DGUV-Statistik erfasste Gruppe von Kindern an Grund-, Haupt- oder Volksschulen mit einem Durchschnittsalter von 11,6 Jahren ist überwiegend zu Fuß unterwegs, deshalb gibt es da auch die größte Zahl der Unfälle. Im „mittleren Alter“ von 13 bis 14 Jahren sind Radfahrerinnen und Radfahrer besonders stark betroffen. Und junge Erwachsene mit knapp 18 Jahren verunglücken häufig als Fahranfängerinnen und Fahranfänger im PKW auf dem Weg von oder zur Berufsschule.

Nachzulesen ist dies im Schlussbericht zum Forschungsprojekt „Überblick über Maßnahmen und strukturelle Bedingungen der aktuell in den Ländern durchgeführten Präventionsmaßnahmen zur Verkehrssicherheit in Bildungseinrichtungen“, welches im Auftrag der DGUV vom Institut für Empirische Soziologie an der Universität Erlangen-Nürnberg durchgeführt wurde.

Wie kann man das Thema Verkehrserziehung sinnvoll in den Unterricht integrieren und welche Akteurinnen und Akteure sollten dabei eingebunden werden?

Die im Rahmen des Forschungsprojektes entwickelten Qualitätskriterien sind für diese Einschätzung sehr hilfreich. Sie berücksichtigen sowohl wichtige MUSS-Kriterien wie Inhalt, adressierte Zielgruppe, Methodik und Kompetenzerwerb, als auch entscheidende SOLL-Kriterien wie zum Beispiel die Nachhaltigkeit, Erfahrungsorientierung und Handlungsorientierung einer Maßnahme. Die Detailergebnisse des Projektes werden im Moment von Expertinnen und Experten noch bewertet. Es ist aber zu erwarten, dass sie zukünftig auch Lehrkräften in der Auswahl und Umsetzung von Verkehrserziehungsmaßnahmen im Unterricht eine wichtige Hilfe sein werden.

Wo sollten Schulen konkret ansetzen?

In jedem Fall sind bereits vorschulische Programme im Elementarbereich hilfreich, um Kinder (und Eltern) auf den ersten eigenen Schulweg vorzubereiten. Gute Beispiele sind unter anderem „Kind und Verkehr“ vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat, „Kinder im Straßenverkehr“ von der Deutschen Verkehrswacht oder „Immer sicher unterwegs“ von der Unfallkasse Hessen und der Landesverkehrswacht Hessen.

Nach wie vor gut etabliert ist in Deutschland auch die Fahrradausbildung in der Grundschule in den Klassenstufen drei und vier, die mit einer abschließenden Fahrradprüfung in der vierten Klasse unter Mitwirkung der Polizei endet. Denn der Trend zum Fahrrad als Schulwegverkehrsmittel geht mit einem höheren Unfallrisiko für die Schülerinnen und Schüler einher. Dieses ist mit dem Risikoverhalten während der Pubertät besonders hoch. Die Unterstützung dieser Altersgruppe in einem sicheren Verkehrsverhalten ist eine Aufgabe mit zunehmender Bedeutung.

Und was gibt es für die Älteren, die schon fast wieder aus der Schule raus sind?

Angebote wie das „begleitete Fahren mit 17“ konnten bereits außerschulisch einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung der Risiken von Fahranfängerinnen und Fahranfängern leisten. Dennoch sind junge Menschen hier nach wie vor besonders gefährdet. Das heißt: Auch im Kontext Schule sollte das Thema Verkehr noch mal auf die Agenda, denn dort sind Wissen, Einstellung und späteres Verhalten belegbar gut zu beeinflussen. Beispiele für gute Unterrichts- beziehungsweise Praxisprogramme sind „EVA“ der Verkehrswacht Bayern, „Sich-er-fahren“ vom Sächsischen Kultusministerium oder das „Lernmodul Multitasking“ der Unfallkasse Hessen.

Besonders wichtig: Um eine sichere und gesunde Mobilitätsbiografie von Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, kann und muss eine moderne Verkehrserziehung heute über alle Altersgruppen hinweg immer auch um Aspekte der Umwelt- und Sozialerziehung ergänzt werden.

Kiss and go

Um den Verkehr und damit das Unfallrisiko rund um die Schulen möglichst gering zu halten, weisen viele Kommunen Hol- und Bringzonen aus. Diese sind für Eltern gedacht, die ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen. In diesen auch „Kiss and go“-Zonen genannten Bereichen können Eltern ihre Kinder gefahrlos absetzen, der restliche Weg zur Schule wird von den Schülerinnen und Schülern alleine oder in Gehgemeinschaften zurückgelegt. Verkehrsfachleute empfehlen eine Entfernung von mindestens 250 Metern zur Schule – so lernen auch schon jüngere Kinder die wichtige Fähigkeit, sich im öffentlichen Raum zu orientieren.