Arne Schlotheuber ist an der Albert Schweitzer Schule II in Freiburg im Einsatz

Fördernd, flexibel, Fellow

Als „Fellow“ der Bildungsorganisation Teach First Deutschland hat Arne Schlotheuber an einer Freiburger Werkrealschule intensive Beziehungen zu den Jugendlichen aufgebaut, begleitet den Unterricht und unterstützt sie auf dem Weg zum Hauptschul- oder mittleren Bildungsabschluss. Davon profitieren alle: Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte, Schulleitung.

AUTOR Stefan Layh, Redakteur Universum Verlag | DATUM: 10.11.22 | FOTOS Hubert Braxmaier

Was ist auch im Krieg nicht erlaubt, sondern gilt als Verbrechen?“, fragt Thomas Greth seine Klasse 9a, denn gerade steht Politik auf dem Stundenplan. Die Teenager überlegen, mehr laut als leise. „Wenn Soldaten unschuldige Menschen angreifen“, sagt eine Schülerin. „Wenn Zivilisten getötet werden“, ruft jemand. „Aber was genau sind denn Zivilisten?“, fragt ein anderer halblaut. „Zivilisten sind Menschen, die nicht zum Militär gehören und im Krieg geschützt werden müssen“, erklärt der junge Mann, der vorne bei dem zustimmend nickenden Lehrer steht.

ANSPRECHPARTNER FÜR ALLE

Arne Schlotheuber ist 31 Jahre alt und als Fellow an der Albert Schweitzer Schule II, einer Werkrealschule in Freiburg, im Einsatz. Diese Schulform ermöglicht in Baden-Württemberg Schülerinnen und Schülern einen Hauptschul- oder einen mittleren Bildungsabschluss. Vermittelt von der gemeinnützigen Bildungsorganisation Teach First Deutschland wirkt er hier zwei Schuljahre lang als Bindeglied zwischen Lehrkräften und Schülerschaft. Laut Teach First sind Fellows „Top-Absolventen verschiedener Hochschulfächer, die gezeigt haben, dass sie Verantwortung übernehmen können“. Ihr Gehalt wird in der Regel von der öffentlichen Hand finanziert, meist von den jeweiligen Bundesländern. Vor dem Einsatz an einer Schule in einem sozialen Brennpunkt werden Fellows drei Monate lang sowohl mit Blick auf praktische Aspekte des Schuleinsatzes als auch in

Themen wie Schulrecht und Kinderschutz ausgebildet, während ihrer „Schulzeit“ dann begleitet und weiterqualifiziert. Fellows sollen benachteiligte Kinder und Jugendliche besonders an den Übergängen im Bildungssystem unterstützen: bei Abschlussprüfungen, Schulwechseln und dem Einstieg in die Berufswelt.

„Man könnte sagen, ich bin eine zweite Ansprechperson“, sagt Arne Schlotheuber. „Mich reizt es, die Jugendlichen hier, die es auch außerhalb der Schule nicht immer leicht haben, auf dem Weg zu selbstbestimmten Menschen zu begleiten.“ Dazu biete die Ganztagsschule viele Möglichkeiten, auch durch Projekte und außerschulische Aktivitäten mit den Schwerpunkten Sport, Ablenkung und Teambuilding. Dabei kommt ihm auch die Ausbildung zum Erlebnispädagogen zugute, die er vor seinem Masterstudiengang Sportmanagement absolviert hat.

MEHR KONTAKT ALS DER KLASSENLEHRER

“Mich reizt es, die Jugendlichen, die es auch außerhalb der Schule nicht immer leicht haben, auf dem Weg zu selbstbestimmten Menschen zu begleiten.” – ARNE SCHLOTHEUBER, TEACH-FIRST-FELLOW

 

Im Schulalltag begleitet Arne Schlotheuber die Ganztagsklasse 9a von montags bis freitags. „Ich habe 24 Kontaktstunden pro Woche mit den Schülerinnen und Schülern.“ Selbst der Klassenlehrer verbringt nicht so viel Zeit mit seinen Schützlingen, die aktuell auf den Hauptschulabschluss zusteuern. „Viele von ihnen sind leistungsschwach, verhaltensauffällig oder ‚sozial kreativ‘, die Belastung ist teilweise sehr hoch. Früher bin ich manchmal fix und fertig nach Hause gegangen “, blickt Thomas Greth zurück. „Diese Tage sind sehr selten geworden, seit Arne hier ist.“ Offenkundig verstehen und ergänzen sich die beiden sehr gut. Der Fellow unterstützt den Lehrer sowohl bei der Unterrichtsvorbereitung als auch im Teamteaching und ist gerade beim „Individuellen Lernen“, das täglich auf dem Stundenplan steht, eine große Entlastung. Wenn die Mitglieder der Ganztagsklasse sich um Aufgaben kümmern oder Neues vertiefen, übernimmt der Fellow einzelne Gruppen. „Mit intensiver Betreuung und Beziehungsarbeit kann man hier viel erreichen, das teilen wir uns auf“, sagt der Klassenlehrer. „Arne ist näher an den Schülern dran als die meisten Lehrkräfte. Und er muss im Gegensatz zu mir keine Noten geben.“ Beides trage dazu bei, schwierige Situationen zu lösen. Dabei hilft auch, dass die Klasse 9a dem Fellow vertraut.

DER FELLOW, DEM DIE KLASSE VERTRAUT

„Deutsch, Mathe, Englisch oder was auch immer: Herr Schlotheuber ist immer hilfsbereit, wenn wir irgendwo nicht weiterkommen“, sagt der 15-jährige Domenico. „Auch wenn ich ein Problem habe, das nicht direkt mit der Schule zu tun hat, kann ich mit ihm sprechen.“ Das gilt auch für Silvia, der momentan viel Belastendes durch den Kopf geht. „Meine ganze Familie kommt aus Russland“, sagt die 16-Jährige. Deswegen habe sie Arne Schlotheuber gebeten, sich im Politikunterricht nicht zu den Geschehnissen in der Ukraine äußern zu müssen. „Er hat das verstanden und mit dem Lehrer besprochen, das hat mich sehr erleichtert.“ Auch in den Pausen, beim gemeinsamen Essen oder bei Ballwechseln an der Tischtennisplatte habe die Klasse viel Spaß mit ihrem Fellow. „Nach dem Abschluss werden mir die Lehrer fehlen“, sagt Silvia beim Blick in die Zukunft, „aber Herrn Schlotheuber werde ich wirklich vermissen. Mit ihm fällt mir Vieles leichter.“

Der Gelobte ist bereits der vierte Fellow, den die Bildungsorganisation Teach First an die Albert Schweitzer Schule II vermittelt hat. „Alle waren sehr unterschiedlich“, bilanziert Schulleiter Joachim Diensberg, „und wir haben mit allen gute Erfahrungen gemacht.“ Gerade die Tatsache, dass die Fellows völlig unterschiedliche Hintergründe haben, sieht er als Vorteil: Jede Person bringt das ein, was sie aus ihrer Biographie mitbringt. „Das bereichert unser Team ungemein. Und die Lehrkräfte reißen sich regelrecht um die Fellows“, sagt der Schulleiter mit einem Schmunzeln. „Ihr Input ist wertvoll und entlastet besonders bei der individuellen Beziehungsarbeit und dem Formen von Klassengemeinschaften.“ Beides spiele – neben der Arbeit an Leistungsschwächen oder Verhaltensauffälligkeiten – an der Werkrealschule eine große Rolle für den Lernerfolg. Aufgrund der wiederholt positiven Erfahrungen könne er das Fellowship-Modell anderen Schulen sehr empfehlen – unter einer Bedingung: „Die Bereitschaft muss da sein, Verantwortung an die Fellows zu übertragen und ihnen zu vertrauen“, betont Joachim Diensberg. „Dann kommt diese Zusammenarbeit allen zugute.“

„Der Input der Fellows entlastet besonders bei der individuellen Beziehungsarbeit und dem Formen von Klassengemeinschaften“, sagt Schulleiter Joachim Diensberg.

 

ERFOLGSFAKTOR NÄHE

Das sieht Arne Schlotheuber nicht anders. „Ich habe von Anfang an das Gefühl gehabt, hier an der Schule etwas bewirken zu können“, sagt der 31-Jährige rückblickend. Dass er als Fellow in manchen Situationen einen Schritt mehr auf die Schülerinnen und Schüler zugehen konnte als eine Lehrkraft, habe ihm einen persönlichen Zugang ermöglicht. „So konnte ich engere Beziehungen aufbauen, Hintergründe erfahren und das Verhalten der Jugendlichen besser einordnen.“ Nebenbei brachte das Fellowship ihm wie erhofft einige Schlüsselkompetenzen für seinen weiteren Berufsweg. Lektion eins an der Schule: „Ich musste lernen konsequent zu handeln“, gibt Arne Schlotheuber zu. „Erstens Grenzen aufzeigen, zweitens reagieren und sanktionieren, wenn sie überschritten werden.“ Der kurzfristige Lohn der Mühe war die Wertschätzung seiner Schützlinge – und eine weitere, späte Erkenntnis. „Ich hätte gerne einen Fellow zur Seite gehabt, als ich selbst noch zur Schule gegangen bin.“

Ich will die Lehrkräften unterstützen und die Schülerinnen und Schüler für die Schule begeistern.“ Ein Videointerview mit Arne Schlotheuber

GLEICHE BILDUNGSCHANCEN FÜR ALLE

Die gemeinnützige Organisation Teach First Deutschland setzt sich derzeit in sechs Bundesländern für ein gerechtes Bildungssystem ein: Alle Kinder und Jugendlichen sollen unabhängig von ihren Startbedingungen wie Herkunft, Sprache, Einkommen und Unterstützung der Eltern eine gute Bildung erhalten. Der Sprung auf die nächste Stufe – etwa zu einer anderen Schulform oder in die Berufsausbildung – soll keine Sollbruchstelle für sozial Schwächere sein. Genau an diesen Übergängen arbeiten die Teach-First-Fellows: Sie unterstützen in Schulfächern, geben Selbstvertrauen durch gemeinsame Projekte und helfen bei der beruflichen Zukunftsplanung. Für diese Aufgabe sucht die Bildungsorganisation regelmäßig junge Menschen, die in einem zweijährigen Leadership-Programm als Fellows an Schulen in herausfordernden Umfeldern eingesetzt werden.

Interessierte Schulen können sich um eine Programmteilnahme bewerben.
Mehr Informationen: www.teachfirst.de