„Schulen werden handlungssicher“
Krisen haben viele Gesichter und können den Schulalltag aus den Angeln heben. Wie das Netzwerk der Schulpsychologie Schulen helfen kann, sich gut und umfassend auf die Krisenintervention vorzubereiten, erläutert Benedikt Herwig, Leiter des Arbeitsbereichs Krisenmanagement der Abteilung Schulpsychologie am Pädagogischen Landesinstitut Rheinland-Pfalz.
- Das schulische Krisenteam ist eine wichtige Ressource der Krisenintervention
- Die Schulpsychologie berät und bildet fort
- Auch im Akutfall wird individuell beraten
Herr Herwig, was ist aus Ihrer Sicht das Wichtigste bei der schulischen Krisenintervention?
Das Wichtigste für eine gelingende Krisenintervention ist eine gute Vorbereitung. Die Krise selbst, und das ist Teil ihrer Natur, ist eine im Detail nicht vorhersehbare Situation. Mit klaren Strukturen, Zuständigkeiten und Abläufen kann das schulische Krisenteam und können alle unterstützenden Strukturen sich aber auf diese Unwägbarkeiten einstellen. Die wichtigste Ressource zur Bewältigung von Krisen finden Schulen somit in ihrem eigenen Haus: eine stabile Führung, unterstützt von einem gut aufgestellten Krisenteam und getragen von den guten Beziehungen zwischen Lehrkräften und ihren Schülerinnen und Schülern, innerhalb des Kollegiums sowie der gesamten Schulgemeinschaft.
Wobei hilft die Schulpsychologie in der Krisenintervention?
Die Schulpsychologie und andere Kooperations- und Unterstützungspartner bieten Schulen bei Bedarf Unterstützung an. Wir helfen Schulen dabei, handlungssicherer zu sein oder zu werden. Unsere Unterstützung beginnt dabei weit im Vorfeld des eigentlichen Krisenfalls. Die höchste Stabilität und Handlungssicherheit im Akutfall haben häufig solche Schulen, die über ein gut funktionierendes Krisenteam verfügen, das durch die Erstellung eines schulischen Krisenplans auf unterschiedliche Notfallszenarien vorbereitet ist. Wir bieten zum Beispiel Fortbildungen zur Etablierung und Professionalisierung des schulischen Krisenteams als zentrale Struktur an sowie zu dessen Vorbereitung auf den Akutfall.
Kann die Schulpsychologie auch in Akutfällen helfen?
Das schulpsychologische Angebot im Akutfall richtet sich nach den situativen Anforderungen und erfolgt individuell im Rahmen einer ersten Absprache mit der Schule. Um wieder entscheidungs- und handlungssicher zu sein, reicht der Schulleitung in manchen Fällen ein einzelnes Telefonat, in anderen braucht es eine umfassendere Intervention und Beratung vor Ort oder Informations- und Gesprächsangebote für Lehrkräfte, für Schülerinnen und Schüler oder für Eltern. Typische Elemente der Intervention sind zum Beispiel die schulpsychologische Beratung von Schulleitung oder Krisenteam zu Aspekten des schulischen Krisen- und Informationsmanagements. Im Rahmen dieser Beratung werden gesicherte Informationen zusammengetragen und betroffene Mitglieder der Schulgemeinschaft identifiziert: Wer ist wie betroffen? Wer benötigt welche Unterstützung? Wer kann diese Unterstützung anbieten? Und wer ist worüber zu informieren? Auf welchem Weg? Wann und durch wen?
Was können Akteurinnen und Akteure der Krisenintervention tun, wenn sie sich belastet fühlen?
Natürlich können sowohl Schulleitungen als auch Lehrkräfte emotional vom Ereignis und dessen Folgen betroffen sein. Mit Belastungen und Anliegen können auch sie sich an die Schulpsychologie wenden und Unterstützung erhalten. Fühlt sich eine Lehrkraft überlastet, kann sie zum Beispiel mit einer zweiten Person in die Klasse gehen, die dann für die Schülerinnen und Schüler ein passendes Angebot macht. Manchmal ist es wichtig, dass die situativ notwendigen Aufgaben durch eine andere Person übernommen werden können. Auch aus diesem Grund empfiehlt sich zum Beispiel für Mitglieder des schulischen Krisenteams eine Doppelbesetzung der Rollen.
Welche Maßnahmen der Krisenintervention führen Sie an Schulen durch, zum Beispiel direkt nach einem Krisenereignis?
Die konkrete Ausgestaltung der schulpsychologischen Unterstützung vor Ort ist bundesweit nicht einheitlich geregelt, richtet sich aber stets nach dem schulischen Bedarf und erfolgt auf Anfrage. Eine erste Stabilität gewinnen Betroffene durch eine adäquate Information über das Ereignis sowie Informationen, die ihnen helfen, die eigenen Reaktionen auf die erlebte Belastung besser einordnen zu können. In einem zweiten Schritt brauchen sie zumeist Angebote, die ihnen einen Weg zu inneren und äußeren Ressourcen erleichtern: Also eine Orientierung zu den Fragen „Was oder wer gibt mir Kraft?“ Diese Form der Stabilisierung durch Information, Psychoedukation und Ressourcenorientierung erfolgt durch die Schulpsychologie oder andere professionelle Helferinnen und Helfer in Form von Einzel- oder Gruppengesprächen.
Werfen wir einen kurzen Blick über den Tellerrand: Gibt es noch Angebote oder Maßnahmen anderer Bundesländer, auf die Sie hinweisen möchten?
Schulpsychologie ist, wie die Bildungspolitik auch, in Deutschland nicht bundesweit organisiert, sondern in die Strukturen der Länder, Landkreise oder Kommunen eingebettet. Im Rahmen von größeren Schadensereignissen kommt es aber mitunter zur länderübergreifenden Zusammenarbeit.
Im Rahmen der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal 2021 waren schulpsychologische Teams aus Hessen und Baden-Württemberg in Rheinland-Pfalz im Einsatz; ebenso wie die rheinland-pfälzische Schulpsychologie in Baden-Württemberg nach der Amoktat 2009 unterstützt hat. Eine große Hilfestellung bietet dabei das Schulungscurriculum des European School Psychology Centre for Training (ESPCT), das mit Basis- und Fortgeschrittenenkursen zum schulpsychologischen Krisenmanagement in vielen Bundesländern eine stabile Grundlage für Zusammenarbeit liefert.
In diesem Jahr qualifizieren wir erneut gemeinsam mit Hessen und Niedersachsen in einem länder-gemischten Trainer- und Trainerinnenteam teilnehmende Schulpsychologinnen und Schulpsychologen aus allen drei Bundesländern nach dem ESPCT-Curriculum. Im Jahr 2023 haben wir eine Tagung der niedersächsischen Krisen- und Notfallteams mitgestaltet und unser Krisenmanagement in der Unterstützung von Schulen im Rahmen der Ahrtal-Flut vorgestellt.
Auch zwischen Schulpsychologinnen und Schulpsychologen aus anderen Bundesländern dürfte es zahlreiche Beispiele für eine gelingende Zusammenarbeit in der Akutphase oder der gemeinsamen Fortbildung geben.
Benedikt Herwig leitet den Arbeitsbereich Krisenmanagement in der Abteilung Schulpsychologie am Pädagogischen Landesinstitut Rheinland-Pfalz. Er koordiniert die schulpsychologischen Unterstützungsangebote in schulischen Krisenfällen, zusammen mit den Teams der regionalen schulpsychologischen Beratungszentren.
Schulpsychologinnen und Schulpsychologen gibt es in allen 16 Bundesländern. Hier finden Schulen die für sie richtige Anlaufstelle:
• https://schulpsychologie.de